GEIS/ULRICH: "DER UNVOLLENDETE"

"Der Unvollendete – Das Leben des Joschka Fischer" haben die Journalisten Matthias Geis (Die Zeit) und Bernd Ulrich (Tagesspiegel) ihre Biographie über Deutschlands derzeit populärsten Politiker genannt. Und in der Tat lesen sich diese Metamorphosen eines durch und durch politischen Menschen vom zauseligen Hausbesetzer und Revoluzzer bis zum weltweit angesehenen Außenminister im feinen Zwirn, als wären sie das Drehbuch eines gut erfundenen Fernseh-Mehrteilers.

Der Werdegang dieses dennoch sehr realen 54-jährigen Metzgersohnes aus Baden-Württemberg beschreibt unbestreitbar die ungewöhnlichste Politikerkarriere der Nachkriegszeit. Dabei waren seine Anfänge mit Schul- und Lehrabbruch gar nicht vielversprechend. Der von jeher lesewütige Außenseiter wurde zum Aussteiger, bis er in der Frankfurter Politszene der 68er-Zeit gewissermaßen seine weltanschauliche Heimat fand.

Hier entwickelt sich das Phänomen Fischer, der es mit rhetorischem Killerinstinkt als gebildeter Straßenkämpfer schafft, sich im elitären linken Protestmilieu durchzusetzen. Der früh Antiautoritäre neigt jedoch nicht zum Marxismus-Leninismus, sondern bevorzugt linke Militanz plus Spaß gleich Spontitum. Der weitere Weg zum Grünen-Mitglied, das er 1981 wird, ist schillernd und stark geprägt von der Freundschaft mit Daniel Cohn-Bendit. Während der ebenfalls aus ärmlichen Verhältnissen aufgestiegene Gerhard Schröder eher eine exemplarische und schon früh typisch zielorientierte Karriere anstrebte, ist der Aufstieg Fischers ungleich komplizierter, von noch mehr Kämpfen gerade auch innerhalb der Partei begleitet.

Da findet sich der Realo 1983 recht überraschend im Bundestag wieder und zeigt sofort Zähne. 1985 muss er rotieren und wird Ende des Jahres der so genannte Turnschuhminister in Hessen. Im Zickzackkurs verfolgt er als Überwältigungspolitiker sein Grobziel, Kanzler Kohl zu überwinden, muss dabei aber erst einmal die eigenen Reihen mit viel Charisma hinter sich bringen.

Es ist eine faszinierende Biographie, längst bevor Fischer 1998 in den Olymp des Regierungsamtes aufsteigt und es ist zugleich die Geschichte der Grünen in wesentlichen Teilen. Auch das Privatleben mit vier Ehen und zwei Kindern, mit Krisen und Wandlungen ist spannend aufbereitet. Man lernt den besessenen Vollblutpolitiker besser kennen und manche der teils bisher unveröffentlichten Fotos verraten mehr als viele Worte. Und zum Schluss fragt man mit den Autoren, welche die nächsten Überraschungen des Unvollendeten sein mögen.

 

# Matthias Geis/Bernd Ulrich: Der Unvollendete – Das Leben des Joschka Fischer; 253 Seiten, div. Abb.; Alexander Fest Verlag, Berlin; € 24,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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