JOSEPH KANON: "IN DEN RUINEN VON BERLIN"

Ein solcher Nachkriegsroman war längst überfällig: die Wochen nach der Kapitulation im Mai 1945 in der Trümmerlandschaft der deutschen Reichshauptstadt und all die Machenschaften, die das Heraufziehen des Kalten Krieges bereits ahnen lassen. Joseph Kanon hat ihn geschrieben und mit diesem "In den Ruinen von Berlin" darf man ihn endgültig in die Kategorie eines Graham Greene oder John le Carré eingliedern.

Sein Jake Geismar kommt als Presseoffizier in die Stadt und er geht nicht so burschikos mit dem Elend der einst glanzvollen Metropole um wie die meisten seiner Kameraden, denn er hat hier selbst als CBS-Korrespondent seit der Olympiade bis 1941 gelebt. Angesichts der entwurzelten Menschen empfindet er Mitleid, Staunen und dann wieder wütende Fassungslosigkeit über den Holocaust. Sein ganz persönlicher Grund für die Rückkehr ist die Affäre mit der verheirateten Lena, die er zurücklassen musste. Sein Job aber ist es, über die Potsdamer Konferenz zu schreiben. Doch während das berühmte Foto von Churchill, Truman und Stalin geschossen wird, fischen russische Soldaten aus dem See nebean einen toten US-Leutnant. Mit viel Besatzungsgeld bei sich, einer amerikanischen Kugel im Leib und obendrein im russischen Besatzungsgebiet!

Schon ist Jake an einer brandheißen Geschichte, die um so verwirrender wird, als sich weder sowjetische noch US-Dienste für den Mord zu interessieren scheinen. Jake gerät in ein gefährliches Geflecht aus Korruption, allgegenwärtigem Schwarzmarkt und politischen Intrigen. Und er findet Lena, schwer krank. Er pflegt sie gesund und ihre alte Liebe lebt wieder auf zu einer ebenso zartfühlend wie hinreißend beschriebenen Romanze.

Zugleich aber stößt er auf erste Andeutungen über das Lager "Dora", wo Tausende von Zwangsarbeitern beim unterirdischen Raketenbau verheizt wurden - Lenas Mann war einer der dortigen Wissenschaftler. Und allenthalben herrscht eine seltsame Art der Anarchie mit eigenen Gesetzen und geradezu beiläufiger Grausamkeit. Wut aber erfasst Jake, als immer mehr klar wird, dass die Schiebereien mit offiziellen Papieren und so genannten Persilscheinen für Handlanger und Mittäter des Nazi-Regimes weit mehr sind als nur Geschäfte gegen Geld. "Wissenschaftler sind zu wertvoll, um Nazis zu sein", erklärt ein Offizier, der die akribisch geführten Personalakten der SS durchforstet.

Es wird offenbar, dass hinter den Kulissen längst ein mit allen Mitteln geführter Kampf um die deutschen Raketenwissenschaftler läuft. Es brodelt bereits zwischen den Siegermächten, denn beide Seiten sind wenig zimperlich und Jake ist mittendrin.

Bis zum fulminanten Finale hält der Autor den Leser in höchster Thrillerspannung und schafft durch eine dichte Sprache und grandiose Dramaturgie eine ungeheure Nähe zum Geschehen. Mit viel Fingerspitzengefühl geht er außerdem auf die Suche nach dem Verstehen dieser Deutschen, wie sie zu Tätern und zu Opfern wurden (Originaltitel "The Good German"!). Kanon beweist mit der meisterhaften Beschreibung von Zeit- und Lokalkolorit zudem, dass ein Thriller auch hochklassige Literatur sein kann. Und man freut sich hernach auf die geplante Verfilmung mit George Clooney als Jake!

 

 

# Joseph Kanon: In den Ruinen von Berlin (aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel u. Klaus Timmermann); 608 Seiten; Karl Blessing Verlag, München; € 24,90              WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS) 

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