MARIO VARGAS LLOSA: "DAS FEST DES ZIEGENBOCKS"

Sein Blick war gefürchtet und niemand konnte ihm standhalten, so bohrend, starr und humorlos war er. Er gebot über Leben und Tod, hinzu kam die Härte auch sich selbst gegenüber und Verstöße gegen seinen peniblen Ordnungssinn waren strafbar: das war der karibische Tyrann Rafael Leonidas Trujillo, der Wohltäter genannt.

Doch man schreibt das Jahr 1961, Trujillo ist bereits seit 31 Jahren Herrscher über die Dominikanische Republik und er bebt vor Wut und Ohnmacht über die sich mehrenden Zeichen der heraufziehenden Götterdämmerung. Da konnte er mit seinem Gespür für die Schwächen der Menschen Feinde kaufen, einschüchtern oder umbringen, drei Millionen Dominikaner so in die Knie zwingen, dass sie ihm hündisch ergeben waren – nur seine Blase konnte er nicht mehr kontrollieren.

Der letzte Tag des 70-jährigen allmächtigen Generalissimus ist es, den der peruanische Erfolgsautor Mario Vargas Llosa als "Das Fest des Ziegenbocks" in den Mittelpunkt seines jüngsten Romans stellt. Dieser Tag beginnt wie stets sehr früh mit den Ritualen der pathologisch gepflegten Sauberkeit und den Reflektionen über die eigene Großartigkeit und die Verachtung für alle, die schwächer waren. Er genießt einen Respekt beim einfachen Volk, der an die vermeintlich unverständliche Bewunderung bekannter Großschurken wie Hitler und Stalin erinnert: alle hatten Arbeit, es herrschte Ordnung und es gab nicht so viele Verbrechen. Und der Parvenü, der sich im Kielwasser fremder Herren vom Aufseher in einer Zuckerfabrik zum unumschränkten Herrscher heraufkämpfte, ist ein begnadeter "Manipulierer der Unbedarften, Narren und Idioten". Darin eher mit Geistesverwandten wie Idi Amin oder Kaiser Bokassa vergleichbar, deren Unterhaltungswert er ebenso fantasiereich überbot wie die despotischen Begleiterscheinungen ihrer Schreckensherrschaft.

Vargas Llosa krönt seine Meisterschaft in der grandiosen Schilderung der Ereignisse durch eine fesselnde Dramaturgie, die wie raffiniert komponierte Filmschnitte ein Puzzle von hoher Sogwirkung aufbaut. Wie ein roter Faden zieht sich das dilettantische Komplott zur Ermordung des Alten durch den dichten Erzählstrom, der in unnachahmlicher Weise Menschen, Situationen und Ambiente bildhaft macht. Es ist ein genialer Kunstgriff, den "Chef" persönlich die Mechanismen darlegen zu lassen, die seinen Despotismus selbst in unwürdigster Ausformung möglich machen.

Um so wichtiger ist Urania, die als Katalysator für die entmenschlichten Auswüchse, das mörderische System von Abhängigkeiten, Unterdrückung und Bestechlichkeiten dient. Sie opferte ihr in Ungnade gefallener Vater als 14-Jährige den perversen Gelüsten des längst knochenlahm und inkontinent gewordenen 'Ziegenbocks'. Wenn sie jedoch als Erwachsene feststellt, die Trujillos seien "eine Familie zum Lachen und zum Weinen, aber nicht zum Ernstnehmen", so hat sie lediglich aus einem Grund recht – der Diktator konnte sich im Gegensatz zu anderen Größenwahnsinnigen des letzten Jahrhunderts nur auf einer kleinen Inselrepublik austoben.

Wer "Das Fest des Ziegenbocks" zu lesen beginnt, wird sich ihm nicht mehr entziehen können, auch wenn er die letzte Seite längst gelesen hat. Das ist kein Roman zum simplen Genießen im Lehnstuhl, er fasziniert und stößt ab, er glänzt mit der Fülle der Nuancen und er fordert den Leser zur ebenso bewundernden wie widerwilligen Identifizierung mit den sehr lebendigen Figuren heraus. Wen die allgegenwärtige, historisch überlieferte Niedertracht des Geschehens nicht abschreckt, der findet in diesem Buch ein großartiges Meisterwerk. 

 

# Mario Vargas Llosa: Das Fest des Ziegenbocks (aus dem Spanischen von Elke Wehr); 539 Seiten; Suhrkamp Verlag, Frankfurt; 49,80 DM

(öS 364.-/sFr 46.00/€ 25,46)   WOLFGANG A. NIEMANN  (wan/JULIUS)   

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