MARY HIGGINS CLARK: „SO SCHWEIGE DENN STILL“


Mary Higgins Clark (1927-2020) zählte zu den erfolgreichsten Thrillerautorinnen und besondere Markenzeichen waren raffinierte Plots und die stimmige Psychologie ihrer Charaktere. Vor allem aber waren ihre Romane bei aller Hochspannung glaubhaft, gerade weil sie auf Reißerisches verzichteten.
Das hat die Krimikönigin mit ihrem letzten Werk „So schweige denn still“, erschienen kurz vor ihrem Tod Anfang 2020, noch einmal auf brillante Weise unter Beweis gestellt. Im Mittelpunkt stehen Verfehlungen, wie sie die me:too-Debatte in den letzten Jahren in die öffentliche Wahrnehmung gespült hat. Hier sind es sexuelle Übergriffe seitens Brad Matthews, einem angesehenen Nachrichten-Anchorman, den Umfragen wiederholt zum vertrauenswürdigsten Mann der USA kürten.
Am Anfang jedoch steht die junge erfolgreiche Investigativjournalistin Gina Kane. Sie hat eine kryptische Mail von „CRyan“ erhalten, die über ein furchtbares Erlebnis beim aufstrebenden Nachrichtensender REL-News auspacken will. Auf Rückrufe kommen keine Reaktionen, doch nach ersten Recherchen stößt Gina auf den angeblichen Unfalltod dieser Catherine Ryan.
Ihr neuer Chef bei der Zeitschrift „Empire Review“ will die Story und so reist Gina nach Aruba. Auf der Karibikinsel ist die Informantin bei einem Kurzurlaub mit dem Jet-Ski tödlich verunglückt. Doch während Gina Ungereimtheiten wie auch weitere mutmaßliche „Vorfälle“ gegenüber anderen REL-Mitarbeiterinnen herausfindet, gelangt ihre Handynummer über einen ihrer Kontakte an einen dubiosen Strippenzieher.
Und nun springt das Geschehen zwei Jahre in die Vergangenheit, als die sehr junge Lauren Pomerantz vom mächtigen Anchorman sexuell belästigt wird. Sie aber war dank entsprechender Vorahnungen so clever, die Anmache über ihr Handy aufzuzeichnen. Und sie tritt eine ganze Spirale von Ereignissen los, als sie damit zu dem ehrgeizigen neuen Hausjuristen des Senders geht.
Dieser Michael Carter sieht eine einmalige Chance, um mit einem raffinierten Coup für sein eigenes Wohl zu sorgen. Schnell findet er heraus, dass Lauren nicht das einzige Opfer des lüsternen Matthew war und dass die Damen lediglich gegen gut dotierte Verschwiegenheitserklärungen den Mund über die Entgleisungen halten.
Daraus macht er nun ein perfides Geschäftsmodell, um selbst an me:too-Vorfällen zu verdienen. Was sich da bald an Intrigen um Macht und Millionen hinter den Kulissen auf höchster Managementebene entspinnt, ist nicht nur mitreißend – irgendwann geht es eben auch nicht mehr nur um Geld. Was zum Beispiel soll man machen mit einem me:too-Opfer, das wohlhabend genug ist, um an schnöden Schweigegeld-Millionen nicht interessiert zu sein?!
Das Alles hat sich zu einem üblen Gebräu aufgeschaukelt, als nun in der Gegenwart Gina Kane ins Fadenkreuz schwergewichtiger Geschäftsleute gerät, denn sie ist mit ihren Recherchen gefährlich erfolgreich. Wie immer gelingt es Mary Higgins Clark erneut, bis zur letzten Zeile zu fesseln. Und man kann nur staunen, wie die große alte Dame mit über 90 Jahren einen solch höchst aktuellen Roman ebenso realistisch wie absolut filmreif schaffen konnte. Fazit: ein Leckerbissen für alle Freunde gepflegter Spannungsliteratur.

# Mary Higgins Clark: So schweige denn still (aus dem Amerikanischen von Karl-Heinz Ebnet); 430 Seiten; Heyne Verlag, München; € 20

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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