HAUKE FRIEDRICHS: „DAS WUNDER VON DÜNKIRCHEN“


In seinem erzählenden Sachbuch „Funkenflug“ schilderte der Journalist Hauke Friedrichs den Sommer 1939 bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Nach dem gleichen Muster, also dem historischen Geschehensverlauf der militärischen Ereignisse, begleitet von Einschüben aus dem politischen und zivilen Bereich, beschreibt er diesmal jene knapp vier Wochen des Blitzkriegs der deutschen Wehrmacht im Frühling 1940 und einen kriegsvorentscheidenden strategischen Fehler.
„Das Wunder von Dünkirchen. Wie sich im Sommer 1940 das Schicksal der Welt entschied“ lautet der Titel, der im zweiten Teil ein wenig schief ist. Zum Verständnis, wie es zu dieser Ausnahmesituation um die nordfranzösische Hafenstadt Dunquerque kam, gibt Friedrichs zunächst spannende Ausführungen über den fulminanten Auftakt des erneuten Blitzkriegs.
Auf dem Papier war Frankreich dem Dritten Reich militärisch überlegen und obendrein standen zur Unterstützung gegen den drohenden Angriff der Wehrmacht auch noch die British Expeditional Forces (BEF) mit rund 390.000 Mann und starker Bewaffnung im Norden Frankreichs. Doch die Alliierten hatten nichts aus dem rasanten Polen-Feldzug im Herbst 1939 gelernt.
Um so schneller warfen die strategischen Meisterleistungen mit dem zweigeteilten Vordringen einerseits über die neutralen Länder Niederlande und Belgien sowie die Panzerarmeen, die durch die vermeintlich zu unwegsamen Ardennen Richtung Kanalküste vordrangen, alle Verteidigungskonzepte über den Haufen. Im Nu stand ein massiver Keil zwischen der französischen Hauptmacht und dem BEF und eine Gegenoffensive brachten die Alliierten auch nicht zustande.
Ein unausweichliches Fiasko zeichnete sich ab und dann geschah das geradezu Unfassbare: die unaufhaltsam vorausdrängenden Panzertruppen wurden vom Gerd von Rundstedt, dem Befehlshaber der Heeresgruppe A angehalten. Und – Oberbefehlshaber Adolf Hitler bestätigte diesen sogenannten Haltebefehl und beharrte auf dieser von anderen Militärs angezweifelten Entscheidung. Die tatsächlichen Beweggründe dafür sind bis heute umstritten.
Ins Feld geführt wurden einerseits die Überdehnung der Versorgungswege der schnellen Einheiten und andererseits die Sorge um die Panzer, die für den „Fall Rot“, die Eroberung des französischen Herzlandes unverzichtbar waren. Im Übrigen forderte Reichsluftmarschall Hermann Göring, ihm den Kessel um Dünkirchen mit der britischen Hauptmacht zur Vernichtung durch seine Luftwaffe zu überlassen.
Auf britischer Seite erkennt der neue Premierminister Winston Churchill die vage Chance, einen Teil seiner Truppen durch Evakuierung zu retten. So befiehlt er die „Operation Dynamo“, die größte Rettungsmission der Weltgeschichte. Dass die am Sonntag, dem 26. Mai 1940 um 18:57 Uhr startende Operation ein überwältigender Erfolg werden sollte, hatte allerdings außer dem schier unglaublichen Einsatz tausender Schiff und Boote vom Zerstörer bis zur Motorjolle noch eine andere wichtige Vorbedingung.
Churchill opferte die Queen-Victoria-Brigade, indem er ihr den strikten Durchhaltebefehl zum Halten der nahen Hafenstadt Calais erteilte, um die Deutschen lange genug von Dünkirchen fernzuhalten. Bis der Zerstörer „Shikari“ am Nachmittag des 4. Juni als letztes Schiff Dünkirchen verließ, wurden 338.000 britische, französische und belgische Soldaten evakuiert und nach England gebracht. Für den späteren Kriegsverlauf sollte die Operation Dynamo eine ähnliche Bedeutung bekommen wie solche kriegsentscheidenden Schlachten wie die 1941 vor Moskau und Stalingrad 1943.
Und es waren über 200.000 gut ausgebildete britische Truppen, die eine deutsche Invasion unmöglich werden ließen und ohne die 1944 die Invasion in der Normandie kaum denkbar gewesen wäre. Der Autor schildert das Ringen im Kessel von Dünkirchen und die verlustreiche Evakuierung höchst authentisch einschließlich vieler Aussagen von Zeitzeugen,. Eingeflochten ergeben Radioberichte, Briefe und Notizen von meist namhaften Zivilisten wie Erika und Klaus Mann, Anna Seghers und Stefan Zweig ein Stimmungsbild mit besonderen Eindrücken.
Abgesehen von einigen Schlampereien – Churchill erhielt den Literaturnobelpreis erst 1953 und die Reichsluftwaffe absolvierte ihren heimlichen Ausbildungsbetrieb nur bis 1933 in der Sowjetunion – gibt dieses mitreißend verfasste Buch einen hervorragenden Über- und Einblick in eines der herausragenden Kapitel des Zweiten Weltkriegs. Zu dem allerdings eine Übersichtskarte wünschenswert gewesen wäre.

# Hauke Friedrichs: Das Wunder von Dünkirchen. Wie sich im Sommer 1940 das Schicksal der Welt entschied; 344 Seiten; Aufbau Verlag, Berlin; € 24

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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