STEFFEN KOPETZKY:
MONSCHAU
Quarantäne, Isolierung, Nachverfolgung, Inzidenzwerte nein, die Rede ist nicht von
Corona und 2020/21. Aber von einer Seuche ist schon die Rede in Steffen Kopetzkys
jüngstem Roman unter dem Titel Monschau, denn dort wüteten die Pocken, noch
infektiöser und weitaus tödlicher als CoVid19.
Vor ganz realem Hintergrund und mit teils lediglich romanhaft fiktionalisierten
historischen Akteuren wie dem Seuchenarzt Professor Günter Stüttgen und seinem jungen
Assistenten, dem griechischen Nachwuchsarzt Nikolaos Spyriakis entfaltet der Erfolgsautor
die packende Geschichte einher Epidemie in der Eifel.
Patient 1 war hier Jupp Reue, ein Monteur der Rither-Werke in Monschau, der nach Monaten
in Indien heimgekehrt war. So unmittelbar vor Weihnachten hatte man die obligatorische
tropenmedizinische Untersuchung zurückgestellt. Als er dann Krankheitssymptome aufwies,
tippte der Hausarzt auf Windpocken und Reue erholte sich wieder. Doch kurz darauf
erkrankte seine neunjährige Tochter Bärbgel schwer. Und während sie von den Aachener
Kliniken abgewiesen und ins kleine Kreiskrankenhaus gebracht wurde, entsandte die
Landesregierung den renommierten Dermatologen Stüttgen.
Unterwegs schildert der seinem Assistenten die gruseligen Fakten zu Variola,
den hochinfektiösen Schwarzen Pocken. Da sei jeder Infizierte ein wandelnder
Todesengel. Entsprechend unnachgiebig sorgt der Professor bei der Kreisverwaltung
für die unerlässlichen Quarantänemaßnahmen. Was schon wegen des laufenden Karnevals
jetzt um den 1. Februar auf empörte Ablehnung stößt. Auf massiven Widerstand aber bei
den Rither-Werken, die Schmelzöfen für die internationale Stahlindustrie produziert und
ihre vollen Auftragsbücher mit ihren 1500 Mitarbeitern ohnehin kaum bewältigen kann.
Firmenleiter Seuss, der das Unternehmen nach dem Tod des Inhabers quasi stellvertretend
für dessen Alleinerbin Vera Rither führt, solange die in Paris studiert und noch nicht
volljährig ist, war schon in Kriegszeiten ein durchsetzungsfreudiger
Wehrwirtschaftsführer im Werk. Auch jetzt wogt das Für und Wider der drohenden
Betriebsstilllegung und insbesondere Nikolaos Spyriakis als von Stüttgen eingesetzter
Betriebsarzt, hat Mühe, die Kontrolle zu behalten.
Er geistert nun in einer umfunktionierten Stahlarbeitermontur durch die inzwischen
abgeriegelte Seuchenzone.. Und natürlich belässt es Kopetzky nicht bei der einfachen
Geschichten eines Seuchenausbruchs. Nikolaos bezieht Stellung in der Eigentümer-Villa auf
dem Firmengelände und trifft hier auf die aus privaten Gründen heimgekehrte Vera.
Ganz schnell funkit es zwischen den Beiden, doch der leichtfertige Besuch am Krankenbett
von Patient 2 Vera kennt Bärbel schon von kleinauf macht sie zur Gefangenen
im hermetisch abgeriegelten Krankenhaus. Aber auch auf anderer Ebene bauen sich
dramatische Spannungen auf, denn Firmen-Chef Seuss erkennt in Professor Stüttgen jenen
Sanitätshauptmann wieder, der nicht weit von hier während der Ardennen-Schlacht ein
Feldlazarett an die Alliierten übergeben hatte und dafür in Abwesenheit zum Tode
verurteilt worden war.
Womit der Autor diese zentrale Figur direkt mit seinem vorherigen Roman
Propaganda verbindet, in dem Stüttgen als human handelnder Held seine
Würdigung fand. Seuss dagegen bekommt noch ganz andere Probleme, denn ein Reporter der
seinerzeit mächtigen Illustrierten Quick erscheint im Krisengebiet.
Allerdings interessiert er sich nicht wirklich für die Epidemie sondern vielmehr für die
unrühmliche Rolle des einstigen Nazi-Parteigängers Seuss.
Auch hier fließt viel Nonfiktionales ein, wie Kopetzky auch sonst das höchst spannend
beschriebene Geschehen auf hinreißende Weise in die reale Gegenwart des Winters 1962
einbettet. Da beeinflusst der Fernseh-Straßenfeger Das Halstuch sogar den
Betrieb im Seuchengebiet, in Hamburg wird Helmut Schmidt zum Helden bei der
Springflutkatastrophe, Frankreich hat massive Schwierigkeiten durch den Algerienkrieg und
vieles mehr.
Monschau ist insbesondere in Zeiten von Corona ein besonders aktuelles und
aufregendes Buch und viele Parallelen sind verblüffend. Da wirkt bei aller Dramatik die
eingewobene Liebesgeschichte von Niko und Vera als wohltuender Farbtupfer. Das Alles
gepaart mit absolut authentisch herausgearbeitetem Zeit- und Lokalkolorit und Kopetzkys
glänzendem Erzählstil macht diesen Roman zu einem großartigen Stück
Gegenwartsliteratur.
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