CURTIS SITTENFELD:
HILLARY
Das jüngste Buch von Erfolgsautorin Curtis Sittenfeld ist in vielerlei Hinsicht
ungewöhnlich. Der Titel lautet Hillary und auf dem Umschlagfoto wird
unzweifelhaft die junge Hillary Rodham Clinton gezeigt. Darunter steht unübersehbar der
Hinweis Ein Roman.
Der wiederum von Hillary als Ich-Erzählerin kommt und zwar so viel sei ruhig
vorher verraten quasi wie ein Tagebuch von der US-Präsidentin Hillary Rodham, die
2017 ins Wieße Haus eingezogen ist. Der erste Memoiren folgt faktenmäßig weitgehend dem
realen Leben der 1947 geborenen Politikerin. Zum Einstieg lernt man die Studentin kennen,
die als Abschlussbeste ihrer Highschool eine solch brillante Rede hält und dabei sogar
einem Senator als Festredner widerspricht, dass darüber im Time Magazine
berichtet wird.
Wie die zierliche Intelligenzbestie an der Elite-Universität Yale dann ihrem Kommilitonen
Bill Clinton begegnet und ihn als überaus selbstbewussten großen Löwen erlebt, ist
ebenso überliefert wie seine klare Ansage, eines Tages US-Präsident werden zu wollen.
Hier aber kommt die intensive Turtelei mit dem charmantesten Typen weit und breit hinzu
und die geht stets aus dem Denken und Fühlen von Hillary Rodham! - sehr bald ins
Eingemachte.
Die Beiden erleben leidenschaftlichen Sex und der wird hier wiederholt genüsslich und
explizit beschrieben. Das gipfelt in solch pikanten Szenen, in denen ihr der nackte Bill
nach soeben genossener Vereinigung auf dem Saxofon vorspielt (kann er wirklich!). Und
Hillary macht in diesen Passagen kein Hehl daraus, dass es die große Liebe zwischen ihnen
war und das mit einem Mann, der sich intelligenzmäßig mit ihr messen konnte.
Nur so erklärt sich auch, dass sie ihm trotz glänzender eigener Karriereaussichten in
seine Heimat nach Arkansas folgt, um ihn auf seinem Weg zum Gouverneur des Staates zu
unterstützen. Dann aber, nach bereits abgelehnten Heiratsanträgen, lehnt sie seinen
dritten ab und verlässt ihn sogar endgültig. Und sie macht unmissverständlich klar,
dass sie sich ohnehin schon schwertat mit der zwanghaften Untreue dieses Fauns, der
offenbar selbst nicht bestritt, sexsüchtig zu sein.
Ausschlaggebend jedoch war die Aussage einer jungen verheiratetetn Wahlkampfhelferin, die
ihr gesteckt hatte, er habe sich ihr in der Wahlkampfzentrale aufgezwungen.
Hier nun trennen sich im Roman Realität und Fiktion, denn während Hillary Rodham 1975
Misses Clinton wurde, verlässt sie ihn schweren Herzens und wird Jura-Professorin in
ihrer Heimat.
Schon bis hierhin hat man nicht nur wegen der Realitätsnähe den Eindruck, das alles
klinge wirklich nach Hillary Rodham Clinton, denn die Art ihres Denkens und Fühlens sind
ganz nah an dem, was man im Original von ihr kennt. Gleichwohl erzählt der Roman nun nach
dem Prinzip Was wäre wenn... eine alternative Geschichte, die erst 1991
wieder einsetzt.
Erst jetzt gibt es wieder einen Kontakt zwischen der erfolgreichen, bewusst
alleinstehenden Juristin und dem langjährigen Gouverneur. Der mittlerweile zum dritten
Mal verheiratet und ein reich gewordener Mann ist. Und der tatsächlich eine
Präsidentschaftskandidatur anstrebt. Und ausgerechnet Hillary bittet er um
Unterstützung. Die sie ihm aber nicht gewährt, schließlich ist sie der Meinung,
er sei eine Beleidigung für den Feminismus.
Die US-Historie gerät erst mit Präsident Barrack Obama wieder ins historische
Fahrwasser. Bis dann Hillary Rodham, inzwischen Senatorin, selbst ins Rennen geht. Wobei
gleich zwei ebenso spannende wie verrückte Passagen herausstechen: wenn ausgerechnet sie
Bill Clinton bei den Vorwahlen abschießt und wenn ausgerechnet ein gewisser Donald Trump
ihren Wahlkampf unterstützt.
Hier fährt die Autorin auch all die Anfeindungen von Kälte, Machtgier, Humorlosigkeit
und anderem mehr auf, die auch der echten Hillary nachgesagt wurden. Und ganz nach
US-Tradition gestaltet sich auch ansonsten der Weg ins Weiße Haus zu einer unglaublich
schmutzigen Tour.
Das Alles ist hervorragend geschrieben und dennoch nicht uneingeschränkt zu empfehlen.
Man sollte Interesse an den teils seltsam anmutenden Spielarten amerikanischer Politik und
Lebensart haben und sich zugleich an etlichen erotischen Szenen nicht stören.
Die sind zwar recht gut gelungen, gleichwohl berührt es etwas seltsam, das Liebesleben
einer so bekannten noch lebenden Persönlichkeit des öffentlichen Lebens derartig
explizit ausgebreitet zu lesen. Was mag die derartig ihrer Intimität beraubte Hillary
Rodham Clinton davon Halten? Und auch der als geiler Bock geschmähte Ehemann Bill, acht
Jahre lang Präsident der USA und in der Realität noch immer ihr Ehemann?
Fazit: qualitativ ein großes, anspruchsvolles Lesevergnügen, nur wird es nicht jeder soi
ganz ungezwungen genießen können.
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