MARIE-JANINE CALIC: „TITO. DER EWIGE PARTISAN“


Josip Broz Tito (1892-1980) war eine der außergewöhnlichsten Führungspersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Er bezwang Hitler und bot Stalin erfolgreich die Stiurn, er trotzte Churchill und schuf aus einem zutiefst verfeindeten Völkergemisch ein neues Jugoslawien. Er hatte Charisma, Charme, war aber auch ein unbeugsamer Diktator mit hohem Blutzoll.
Wer war dieser Bauernsohn aus ärmlichen Verhältnissen? Dieser Frage, die untrennbar auch mit dem zweiten Staat Jugoslawien verbunden ist, hat sich Marie-Janine Calic mit ihrer umfassenden Biografie „Tito. Der ewige Partisan“ gewidmet. Die Professorin für die Geschichte Ost- und Südosteuropas an der Münchner Ludwig-Maximilian-Universität hat dazu intensiv recherchiert.
Der konkrete Auslöser für Titos großen Aufstieg war vor genau 80 Jahren der Überfall Nazi-Deutschlands auf Jugoslawien, nachdem das Königreich zerfallen war und Kroatien auf einen eigenen Staat drängte. Sechs Tage im April 1941 reichten der Wehrmacht, um den Balkanstaat zu erobern und zu zerschlagen. Doch es war auch die Sternstunde des Funktionärs der KPJ mit dem Kampfnamen Tito, der umgehend eine Untergrundarmee mit 40.000 Mann aufstellte: die Geburtsstunde der Partisanen und der Beginn des Volksbefreiungsaufstandes.
Für sich entdeckt hatte dieser gelernte Schmied den Marxismus als österreichisch-ungarischer Kriegsgefangener in Russland, als dort die Oktoberrevolution ausbrach. Als der Mann Mann mit dem damals schon unbeugsamen Willen und den stahlharten Nerven 1920 heimkehrte, gehörte seine kroatische Heimat zum neuen Königreich der Südslawen. Bald schon musste er als aktives Mitglied der Kommunistischen Partei in den Untergrund und später saß er sogar als Gewerkschaftssekretär sechs Jahre im Zuchthaus.
Verfolgu7ng lernte der Kommunist, der stets Praktiker und nie Theoretiker war, aber auch in er nachfolgenden Zeit in der Sowjetunion kennen. Mit Glück entging er den Schrecken der Großen Säuberung Stalins, der auf deren Höhepunkt 1937 auch Titos zweite Frau zum Opfer fiel. Unter der Nazi-Besatzung dann brauchte er seine Cleverness und Härte, denn auf diesem erbarmungslosen und von unzähligen Gräueltaten begleiteten Kampfgetümmel standen den Partisanen nicht nur im gesamten Land starke deutsche Verbände gegenüber sondern die fanatischen kroatischen Ustascha-Truppen und die königstreuen serbischen Tschetniks.
Titos Partisanen obsiegten unter größten Strapazen und Verlusten und der Partisanenführer war stets an vorderster Front. Und gewann schließlich die Unterstützung der Alliierten. Obwohl sie Kommunisten waren, aber sie banden allein 33 deutsche Divisionen und zusätzliche italienische an dieser Front. Und diese Volksbefreiungsarmee gewann im Februar 1943 die legendäre Schlacht an der Neretva. Noch im selben Jahr gründete Tito das neue Jugoslawien – geplant als kommunistischer Bundesstaat – und er nahm den Titel eines Marschalls an.
Als solcher trat ihm Churchill in Italien persönlich gegenüber und wollte ihn mit imperialistischen Winkelzügen austricksen. Tito düpierte ihn jedoch durch konkretes Handeln und setzte sein Credo durch: Jugoslawien sollte „nie wieder zum Spielball der Großmächte werden“. Und er nutzt die Gunst die Stunde und installierte die Bundesrepublik Jugoslawien als Föderation gleichberechtigter Staaten mit sozialistischer Verfassung, während die Großen Drei nach dem Kriegsende Wichtigeres zu verhandeln hatten.
Dann trotzte der instinktgeleitete Pragmatiker in einer heiklen Machtprobe auch Stalins arroganter Unterwerfungsforderung. Als nervenstarker Zocker schaffte er es, das sozialistische Jugoslawien „blockfrei“ zu halten. Was schließlich ein weltweites diplomatisches Meisterwerk werden sollte, das System der Blockfreien. Aufstrebende Staaten mit neuer Unabhängigkeit wie Indien, Ägypten, Indonesien und etliche andere schufen eine gewissen Unabhängigkeit zwischen dem US-dominierten und dem Ostblock, und Tito war ihr souveräner Kopf.
Daheim ruhte Titos unumstrittene Macht auf den beiden Säulen von Partei und Armee. Da verzieh man ihm seine Eitelkeit, seine Neigung zu Bombast, Luxus und Personenkult, zumal er seine Jugoslawien als späterer Reformkommunist sogar in einer Art kleines sozialistisches Wirtschaftswunder inklusive Coca Cola und Reisefreiheit führte.
Vom privaten Tito erfährt man bei aller Ausführlichkeit allerdings kaum mehr als allgemein Bekanntes. Dazu merkt die Biografien jedoch an, dass Tito von Kindheit an eine gewisse Distanziertheit zeigte, die durch seine gewinnende Jovialität bis ins hohe Alter nur überdeckt war. Und schon bei den großen Auftritten der letzten Jahre scheint eines unübersehbar durch: wie geradezu ausschließlich dieser autoritär geführte Vielvölkerstaat von der starken Hand des Marschalls als Klammer zusammengehalten wurde.
Es folgte denn auch einer tragischen Logik, dass das visionäre Konstrukt dieses genialen Machtmenschen ihn nicht mal ein ganzes Jahrzehnt überlebte. Auch dies schildert Marie-Janine Calic detailliert und objektiv. Wobei ihr lebendiger Schreibstil diesem übergroßen und absolut filmreifes Leben absolut gerecht wird.
Fazit: man muss diesen ewigen Partisanen, der ja auch seine dunklen Seiten als Diktator hatte, nicht unbedingt mögen – an Bewunderung aber kommt man nicht vorbei. Die gilt dann aber auch dieser meisterhaften Biografie, die alle Qualitäten eines Standardwerks zum Thema aufweist.

# Marie-Janine Calic: Tito. Der ewige Partisan. Eine Biografie; 442 Seiten, div. SW-Abb., C. H. Beck Verlag, München; € 29,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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