WENDY HOLDEN: TEATIME MIT
LILIBET
Es hat überraschend lange gedauert, bis die wahre Geschichte von Marion Crawford
(1909-1988) endlich erzhält worden ist. Die schottische Erzieherin war 16 Jahre lang die
Gouvernante der späteren und noch heute ergierenden Königin Elizabeth II. und deren
Schwester Margaret Rose (1930-2002). Später schrieb sie eine Autobiografie über diese
Zeit, fiel daraufhin in Ungnade bei den Royals und geriet weitgehend in Vergessenheit.
Als die Erfolgsautorin Wendy Holden auf The little Princesses stieß, waren
diese Memoiren von 1950 sofort ein Anstoß für einen NonFiction-Roman unter dem Titel
Teatime mit Lilibet. Es war aus naheliegenden Gründen ein kluger Schachzug,
diese Form zu wählen, gleichwohl darf man einen sehr authentischen Blick auf diese 16
Jahre im innersten Kreis des britischen Königshauses und oft genug quasi durchs
Schlüsselloch erwarten.
Genügend Details bescherte das Buch Crawfords, unterfüttert hat Autorin Holden das dann
mit intensiven eigenen Recherchen. Und sie beginnt mit dem so unwahrscheinlichen Eintritt
der jungen idealistischen Erzieherin, als sie mit 22 Jahren die Einladung ins Haus von
Prinz Albert, dem Herzog von York, und seiner Frau bekam. Zunächst lehnte sie allerdings
ab, denn mit ihrer sozialen Einstellung wollte sie Armenkinder unterrichten und Rüstzeug
für ein besseres Leben geben.
Doch Lady Rose überredete sie mit dem Argument: Welch größere Ehre oder
wichtigere Aufgabe gibt es, als die jungen Köpfe der nächsten Generation imperialer
Herrscher zu formen? So ließ sich Crawford auf einen Probemonat ein, aus dem dann
16 Jahren werden sollten. Mit großem Einfluss auf die Persönlichkeitsbildung der
Prinzessinnen und unter massiven Beeinträchtigungen prägend für ihr eigenes Leben.
Elizabeth, intern allgemein nur Lilibet genannt, war sechs Jahre alt und bestand als
hausüblichem Kose- und Rufnamen auf Crawfie für ihre Gouvernante. Im
Gegensatz zu ihrer vier Jahre jüngeren Schwester Margaret, einem Wildfang, war der kleine
Lockenkopf Lilibet ein sehr ernstes Kind. Und es lässt aufhorchen, wenn die Tochter des
berühmten Stotterers auf dem Thron als Kind von einem obsessiven Ordnungssinn beseelt
war.
Wie sie ihre Mahlzeiten akribisch auf dem Teller zerteilte oder Gegenstände ordnete -
Weil ich mich dann sicher fühle - korrespondiert da durchaus mit dem extrem
abgekauten Fingernägeln. Was Crawfie die Arbeit jedoch wirklich vor allem anfangs stark
erschwerte, war dieses starre, weltfremde Regime in dem Adelshaus. Das Protokoll war
streng und vor allem Lilibets Mutter ebenso unterkühlt wie jeglichen Untergebenen
gegenüber von ausgesucht anmaßender Haltung.
Wie Crawfie dennoch in ihre Rolle hinein- und weit über sie hinauswächst, ist ein
spannender Prozess. Immer wieder muss sie tricksen, um den Mädchen Ansätze der realen
Welt näherzubringen bis hin zu solche verwegenen Erfahrungen einer Fahrt mit der U-Bahn
oder einem Einkauf in einem Kaufhaus. Und Lilibet wächst der Gouvernante sehr ans Herz,
andererseits schätzt aber auch die junge Prinzessin diese als Vertraute.
Am interessantesten wird es dann mit der schweren Thronkrise, als der eben gekrönte neue
König Edward VIII. wegen seiner Liebe zu der geschiedenen Amerikanerin Wallis Simpson zum
Entsetzen der Royals abdankt. Wodurch die Krone im Dezember 1936 an seinen Bruder Albert
fiel, der nun als König George VI. folgte.
Was auch für Crawfie einen riesigen Umbruch bedeutet, denn plötzlich ist sie die
Gouvernante der Thronerbin. Was natzürlich auch mit dem Umzug in den Buckingham Palast
verbunden ist. Bewegte Zeiten mit Krieg, Lilibets Miltärdienst bis hin zur Hochzeit mit
Prinz Philip und Crawfie immer an ihrer Seite. Bis dann mit der Vermählung quasi von
einem Tag zum anderen die kühle Verabschiedung erfolgt.
Dann der üble Affront, als es um eine Art Chronik über Kindheit und Jugend der
Kronprinzessin geht: ein unbeteiligter Höfling soll sie gegen ein beachtliches Honorar
verfassen. Crawfies Wunsch, dies als absolute Insiderin zun tun, wird schnöde dahingehend
abgewiesen, sie könne sich mit Artikeln in die Publikation einbringen, anonym und ohne
Vergütung.
Als Marion Crawford dann 1950 auch auf Drängen ihres spät geheirateten Ehemanns ihre
eigenen Erinnerungen veröffentlicht, nimmt der Hof das als unverzeihlichen Affront auf,
obwohl sie ausschließlich Positives geschrieben hat. Der Bannstrahl trifft sie
unerbittlich. Absolute Loyalität wird am Hof verlangt, erwidert wird sie nicht, vergütet
eher selten.
Das Alles liest sich leicht und recht spannend, wobei insbesondere das authentische Zeit-
und Lokalkolorit den Charme ausmacht. Fazit: ein geradezu filmreifes Geschehen, bei dem
jedoch immer wieder daran erinnert sei, dass es ein Roman ist. Wenngleich der bis in die
Details hinein auf einer nicht autorisierten Autobiografie beruht.
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