IGNAZ LOZO: GORBATSCHOW. DER
WELTVERÄNDERER
Große Verehrung in Deutschland und im Westen, Hass auf den Bestatter der Großmacht im
ehemaligen Sowjetreich: Michael Gorbatschow ist als maßgebliche Schlüsselfigur aus der
Weltgeschichte nicht wegzudenken. Am 2. März feiert der Friedens-Nobelpreisträger seinen
90. Geburtstag und püntlich dazu legt Ignaz Lozo die erste umfassende Biografie vor, die
auch wissenschaftlichen Anforderungen gerecht wird.
Gorbatschow. Der Weltveränderer lautet der ganz und gar treffende Titel und
der Historiker und Osteuropa-Experte Lozo ist für diese Lebenschronik gerade aus
deutscher Sicht geeignet wie kaum einer sonst. Dutzende Interviews konnte er über
Jahrzehnte mit Gorbatschow führen, er durfte in jener geheimen KGB-Datsche filmen, in der
Gorbatschow und Helmut Kohl im Juli 1990 die deutsche Wiedervereinigung aushandelten.
Und Lozo konnte eine Fülle russischer Quellen auswerten, die teils heute noch als
Staatsgeheimnisse deklariert sind. Außerdem sprach er auch mit politischen Weggefährten
und Kontrahenten des Mannes aus dem Nord-Kaukasus. Aus deutscher Sicht am spannendsten
sind natürlich die beiden Kapitel über die entscheidenden Verhandlungen beide
Regierungschefs in Strickjacken am langen Esstisch im Speisesaal der großzügigen Datscha
sowie als Vorlauf der Mauerfall und warum es dabei keine Bruderhilfe
seitens der Sowjetunion für die DDR gab.
Das sind nicht nur fesselnde Schilderungen voller wenig bekannter Details, es wird auch
mit zähen Legenden aufgeräumt. So mit der noch heute gern von Putin postulierten von der
Versicherung der westlichen Seite,m dass die NATO sich nach der Wiedervereinigung nicht
nach Osten erweitern werde. Das war gar kein Thema, zumal der Warschauer Pakt noch
existierte und Gorbatschow überhaupt keinen Anlass hatte, den in Frage zu stellen.
Nur teilweise bekannt ist die hervorragende Atmosphäre zwischen den
Kriegskindern Gorbatschow und Kohl (geboren 1931 bzw. 1930), wobei dem
Bundeskanzler klar war, dass die deutsche Einheit nur machbar sein würde, solange
Gorbatschow am Ruder war. Der wiederum stand unter massivem Druck, denn er brauchte
dringend Hilfe für die wirtschaftlich und finanziell kollabierende Sowjetunion.
Doch auch der private Gorbatschow wird beleuchtet, seine Kindheit und Jugend und dann die
Studentenzeit. Da war der junge angehende Jurist, der nach eigener Aussage schon früh
einen Hang zum Anführer hatte, noch ein glühend überzeugter und aktiver Kommunist:
Ein Hundertprozentiger. Viel wichtiger für den weiteren Lebensweg aber war
die Begegnung mit der attraktiven Kommilitonin Raissa.
Die Beiden heirateten früh und mit der späteren First Lady führte Gorbatschow nicht nur
eine sehr glückliche Ehe, sie war auch als Beraterin auf Augenhöhe von größter
Bedeutung für ihn. Mit ihr lernte er im Übrigen als frisch gebackenes Vollmitglied des
Zentralkomitees der KPdSU erstmals westliche Länder kennen.
Großen Machtzuwachs erhielt der dynamische Funktionär ab 1982 dann als Kronprinz von
Generalsekretär Juri Andropow. Zugleich kamen Gorbatschow erste Zweifel an der
Funktionstüchtigkeit des sowjetischen Wirtschaftssystems, das seit der
Mehltau-Ära unter dem vergreisten Breschnew im Niedergang begriffen war.
Als Gorbatschow am 11. März 1985 mit eben 54 Jahren zum neuen ersten Mann der UdSSR
aufstieg, steckte das Riesenreich längst in größten Problemen. Die der neue
Generalsekretär mit großem Reformwillen anging. Und doch auch mit einem Geburtsfehler
begann, als er entgegen etlicher Warnungen Boris Jelzin zum ZK-Sekretär berief. Der
rabiate, selbstherrliche Funktionär erwuchs ab 1987 zum Gegner und Rivalen.
Während Gorbatschow jedoch im Inneren unter zunehmendem Kontrollverlust litt und auch an
Autorität bei der Bevölkerung verlor, erfreute er sich dank seiner auf Annäherung
ausgerichteten Außenpolitik im Westen immer größerer Popularität.
Schon früh hatte der neue Sowjet-Führer zugleich den Anführern der Warschauer
Pakt-Staaten verkündet, dass für sie künftig das Selbstbestimmungsrecht gelte
ohne Einmischung des Großen Bruders. Andererseits öffnete Gorbatschow sich politisch zur
Bundesrepublik und beschwor hier wie auch in anderen westlichen Ländern das Konzept des
Gemeinsamen Europäischen Hauses.
Detailliert kommen hier die Ereignisse vom Herbst 1989 mit dem Mauerfall zur Sprache. Aus
Moskau gab es keinerlei Anstalten, Gewalt zur Machterhaltung auszuüben. Vielmehr hatte
die Sowjet-Streitkräfte in der DDR ausgerechnet vom 6. bis 12. November sogenannte
Kasernenpflicht und nur Gorbatschow als Oberbefehlshaber hatte die aufheben
können.
Ignaz Lozo legt aber auch unmissverständlich dar, dass der Mauerfall für Gorbatschow
noch keine Neuorientierung in der deutschen Frage auslöste. Da seien erst die blutigen
Ereignisse bei der rumänischen Revolution einschließlich der Ermordung Ceaucescus der
entscheidende Dominostein gewesen: Der Mauerfall allein hatte dafür nicht
gereicht.
Natürlich schildert der Historiker auch den Niedergang Gorbatschows in bestechender
Detailgenauigkeit bis hin zu den bitteren Ereignissen vom August 1991, als Widersacher
Jelzin den Präsidenten ohne Land beim Putsch rettete und ihn zugleich
demontierte. Ausgeführt wird ebenso das folgende Zerbrechen der UdSSR im Dezember 1991
und inwieweit Gorbatschow schuld daran war.
Fazit: ein großartig geschriebene Chronik zu einer der ganz großen Persönlichkeiten der
neueren Geschichte und zumindest aus deutscher Sicht die wohl ultimative Biografie zu
Michail Gorbatschow.
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