JOHN BOYNE: DIE GESCHICHTE
EINES LÜGNERS
Was macht man, wenn man nach einer Schriftstellerkarriere giert, aber kein Talent zum
Geschichtenerzählen hat? Klauen wäre eine Option und genau der folgt Maurice Swift
skrupellos.
Diesen unglaublich attraktiven jungen Mann macht John Boyne in seinem neuen Roman
Die Geschichte eines Lügners zu einem Helden, wie man ihn sich kaum
unsympathischer vorstellen kann. Doch in faszinierender Manier fesselt der irische
Erfolgsautor den Leser dennoch bis zuletzt und das allein schon wegen des genialen
Aufbaus, mit dem der aberwitzige Werdegang des MöchtegernRomanciers geschildert wird.
Ich-Erzähler in Teil 1 ist der alternde Erich Ackermann, seit langem Professor in
England, im Herbst 1988 aber auf Lesereise in West-Berlin. Spät ist eines seiner Bücher
ein Überraschungserfolg geworden. Und in der Bar, in der Maurice kellnert, verguckt sich
Ackermann heillos in ihn. Maurice lässt sich von dem einsamen Homosexuellen umschwärmen
und gewinnt im Nu sein Vertrauen. Dabei ergattert er als eine Art Beifang Zugang zu
literarischen Kreisen.
Noch wichtiger aber: Ackermann macht ihn nicht nur zu seinem Reiseassistenten, er
offenbart ihm in einer stillen Stunde sogar eine 50 Jahre lang verborgene Schandtat aus
seiner Jugend in Berlin. Er war damals heimlich glühend verliebt in Oskar Gött und
verriet ihn und eine jüdische Familie aus rasender Eifersucht an die SS. Maurice aber
bemächtigt sich schamlos des dunklen Lebensgeheimnisses und macht daraus einen nicht gut
aber reißerisch geschriebenen Roman.
Zwei Deutsche wird ein Riesenerfolg und da Maurice betont, alles beruhe auf
Tatsachen, bedeutet es für Ackermann das Ende von allem. In einem Zwischenspiel begegnet
der gefeierte Jungstar nun dem ebenfalls homosexuellen Gore Vidal in dessen
Mittelmeervilla. John Boyne nutzt den (echten) Literaten-Guru als hinreißend
spitzzüngiges Sprachrohr für allerlei Entlarvendes über den Literaturbetrieb.
Vidal ist dabei der Einzige, der den charakterlosen Narzissten durchschaut und abblitzen
lässt. Und immer deutlicher wird die sexuell indifferente Haltung des gefühlskalten
Ehrgeizling, der allerdings schon Ackermann mit der Nennung eines ungewöhnlichen
Verlangens verblüffte: er wolle irgendwann Vater werden. Ein Wunsch, den ihm die folgende
Ich-Erzählerin Edith Camberley jedoch nicht erfüllt, obwohl die aufstrebende Literatin
ihn aus Liebe geheiratet hat.
Nachdem Maurices weitere Romane mangels Qualität durchgefallen waren, tobt nun blanke
Eifersucht in ihm auf Ediths Erfolg mit ihrem Debütroman. Doch nicht nur die im
Dialogstil dargelegten Veränderungen ihres Zusammenlebens sind brillant geschrieben, es
kommt vielmehr zur infamen Zuspitzung. Skrupellos hat er sich ihres neuen Romans
bemächtigt und stößt sie im Wortsinne ins Koma, um den Roman erfolgreich
für sich auszuschlachten. Das sind Passagen, die sind stark, zynisch und gehen tief unter
die Haut.
Und schließlich wird der abgefeimte Blutsauger Jahre später selbst zum Ich-Erzähler und
es gelingt Boyne, seine verkommene Persönlichkeit ohne unnötig aufzudrehen auf
faszinierende Weise offenzulegen. Heruntergekommen und versofffen ist er inzwischen, hat
sich aber mit einem eigenen Literaturmagazin sogar ein professionelles System zum
Geschichtenklau eingerichtet.
Vor allem jedoch ist er mittels Leihmutter tatsächlich Vater geworden. Um dann
ausgerechnet von seinem Sohn den Spiegel vorgehalten zu bekommen. Und es geht für Maurice
Swift, der so sehr an Dorian Gray wie auch den talentierten Mr. Ripley erinnert,
schließlich gar nicht gut aus so viel Gerechtigkeit muss sein. Und John Boyne
verpasst diesem Meisterwerk fesselnder Erzählkunst dann noch eine grandiose
Schlusspointe.
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