CHRIS KRAUS:
SCHERBENTANZ
Erst gab es 2002 den Film Scherbentanz mit Jürgen Vogel und Margit
Carstensen, erst danach machte Regisseur Chris Kraus daraus auch seinen gleichnamigen
Debütroman. Diesen furiosen Erstling hat er nun gründlich überarbeitet und mit einem
höchst lesenswerten Nachwort angereichert.
Ich-Erzähler dieses Familienromans der besonders herben Sorte ist der 33-jährige Jesko,
gelernter Schneider und als ebenso sensibler wie eigenwilliger Modedesigner arg erfolglos.
Obendrein ist seine Ehe gescheitert und als er nun nach vielen Jahren in die pompöse und
schwer abgesicherte Villa des Vaters heimkehrt, ist er sterbenskrank. Leukämie und quasi
hoffnungslos.
Bei seiner Ankunft liegt seine Mutter Käthe gefesselt auf einer Tischtennisplatte und
Ex-Mann Gebhard von Solm steht mit einer blutenden Messerverletzung daneben. Sie wäre die
einzig denkbare Knochenmarkspenderin für Jesko und man hatte die vor 20 Jahren psychisch
völlig abgedriftete Frau erst mit Mühe in einer Obdachlosenunterkunft ausfindig machen
können.
Als angebliche Gräfin hatte sie sich nun in die Villa einschleichen können und wollte
ihrem Ex die Kehle durchschneiden. Im Nu eröffnet sich ein ganzes Panoptikum illustrer
Gestalten einer durch und durch zerrütteten Familie, deren Patriarch Gebhard als
mächtiger Zementfabrikant mit eiserner Hand herrscht und alles zu tun bereit ist, den
guten Ruf nach außen zu bewahren.
Jeskos älterer Bruder Ansgar geht ganz in seinen Fußstapfen, hält sich die nützliche
Simone als Freundin, die in Wirklichkeit keine Chance auf Familienanschluss hat.
Stiefi, die einstige Sekretärin von Solms und jetzige Ehefrau des Alten
spielt eine unbedeutende Rolle und im Hintergrund gibt es einen verleugneten unehelichen
Halbbruder Jeskos.
Und es offenbart sich zunehmend ein heilloses Konglomerat, das zwischen griechischer
Tragödie, Schmierenkomödie und ätzender Satire hin- und herwogt. Da scheinen alte
Traumata auf, die nichts entschuldigen aber vieles erklären. Sei es der titelgebende
Scherbentanz, der den Familienpatron als Knaben gegen Kriegsende in der baltischen Heimat
fürs Leben verwundet. Sei es das makabre Ereignis, das verständlich macht, warum der
sterbenskranke Jesko sich nicht ausgerechnet von seiner Mutter retten lassen will.
Das Alles hätte eine wirre Suppe voller Klischees werden können, doch Chris Kraus ist
nicht nur ein Sprachmagier mit grandiosen Sätzen und Metaphern. Er versteht sich auch auf
Szenen von geradezu beiläufiger Monstrosität und gibt dem Irrwitz Gestalt und Gesicht.
Und diesem nun elegant überarbeiteten Geniestreich hat er nun noch ein Nachwort
angefügt, das dem bitteren Humor des Romans eine heitere Note als Abschiedsgruß gibt.
Mit leichter aber höchste gewitzter Hand erzählt er da von einer kauzigen Begegnung
zwischen ihm, Günter Grass und Volker Schlöndorff. Und wie der Regisseur Kraus mit einem
Drehbuch abblitzen ließ und damit gewissermaßen Film und Roman Scherbentanz
verursachte.
|