MARGARET ATWOOD: „DIE FÜCHSIN“


Margaret Atwood zählt seit Jahrzehnten zu den größten und wichtigsten Autorinnen unserer Zeit und mit „Der Report der Magd“ (1985) schrieb sie sogar eines jener Werke, das in einer Reihe mit Huxleys „Schöne neue Welt“, Orwells „1984“ und Bradburys „Fahrenheit 451“ zu den dystopischen Klassikern der Weltliteratur gehören.
Dabei ist es eine unverzeihliche Unterlassungssünde im deutschsprachigen Raum, Atwoods lyrisches Werk unbeachtet gelassen zu haben. Mit Gedichtbänden hatte sie in ihrer kanadischen Heimat seit den 60er Jahren ihre ersten, teils preisgekrönten Erfolge. An die 20 Bände sind seither erschienen und nun endlich wird eine Auswahl daraus endlich auch hier vorgestellt.
„Die Füchsin“ lautet der Titel und er umfasst insgesamt 98 Gedichte aus verschiedenen Bänden, die zwischen 1965 und 1995 entstanden. Verdienstvollerweise wurden diese zu einem zweisprachigen Kompendium erweitert, bei dem jedem Originalgedicht eine direkte Übertragung gegenübersteht.
Hierfür wurden mit Ann Cotten, Ulrike Draesner, Christian Filips, Dagmara Kraus, Kerstin Preiwuß, Elisabeth Plessen, Monika Rinck, Jan Wagner und Alissa Walser neun namhafte deutschsprachige Autoren gewonnen, die sprachlich und inhaltlich so nah wie möglich am Original blieben. Grundsätzlich gilt ja die Erkenntnis, dass Lyrik kaum wirklich übersetzbar ist. Und auch für diese ebenso vielschichtige wie anspruchsvolle Sammlung liegt der wahre Genuss in der Lektüre der Originale, denn Margaret Atwood war kein kongenialer Übersetzer vergönnt, wie es Erich Ahrendt für den Literaturnobelpreisträger Pablo Neruda war.
Die Herausforderung war allerdings auch immens, denn die große alte Dame der angelsächsischen Literatur schreibt auchz ihre Lyrik mit einem ebenso scharfsichtigen wie scharfzüngigen Blick. Da blitzt Ironie durch bis zu Satire, um dann bei aller Kühle Leidenschaft durchscheinen zu lassen. Immer wieder reflektiert sie sich selbst, zeigt ihre Zweifel und ihr Scheitern am Zwischenmenschlichen.
Und sie erweist sich als Kritikerin, Feministin, Mahnerin, Naturenthusiastin und als moralische Instanz. Wie im Titelgedicht „Die Füchsin“ als Allegorie über den Hunger, der keine Tugend mehr kennt, wenn er elemntar wird: „Hunger macht ruchlos, und vollkommener Hunger/macht vollkommen ruchlos/oder beinahe...“
Ihre Lyrik hat kein Versmaß, keine Reime, jedoch Melodie und Rhythmus und auf eine oft raue, spröde Weise scheint großartige Poesie auf. Und so wie immer wieder Schlangen an herausgehobener Stelle in einem breit gefächerten Bestiarium stehen, mäandert manche Strophe schlangenartig durch die immer wieder bestechende Metaphorik.
Zuweilen wird es gar morbide oder finster mit deftigen Bildern wie in „A Woman's Issue“ über den Missbrauch von Frauen. Um andererseits in regelrechten Balladen zu gipfeln wie dem gewaltigen „Shapechanger in Winter“, einem der Höhepunkte dieser Sammlung. Die im Übrigen auch dem vielgerühmten Schriftsteller und Dichter Michael Krüger in seinem ausführlichen Vorwort ein besonderes Lob wert war.
Da sieht man dann auch über vermeidbare kleinere Fehler der Übersetzer hinweg, wenn mal eine Beziehung im Satz daneben geht oder „cheeks“ mit Schläfen statt korrekt mit Wangen übersetzt wird. Ein unverständliches Ärgernis muss sich allerdings der Verlag vorhalten lassen: den Abschreckungspreis für ein Buch ohne besondere Aufmachung, ohne Abbildung und ohne Lesebändchen.
Abgesehen davon ist dieser großartige Gedichtband sowohl für Fans von Margaret Atwood wie für Liebhaber außergewöhnlicher Lyrik ein Schatz, den es endlich zu entdecken gilt.

# Margaret Atwood: Die Füchsin. Gedichte 1965-1995 (aus dem Englischen von Ann Cotten u.a.); 407 Seiten; Berlin Verlag, Berlin/München; € 40


WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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