LAUREL SNYDER: „INSEL DER WAISEN“


Die Glocke ertönt, denn das grüne Boot taucht aus dem Nebel auf, um Deen abzuholen und fortzubringen. Dafür entsteigt dem Boot ein kleines Kind und wird von Jinny in Empfang genommen. Deen war der Älteste auf der Insel, nun übernimmt Jinny seine Rolle und auch das neue Kind als Mündel.
Damit beginnt der Jugendroman „Insel der Waisen“ von US-Erfolgsautorin Laurel Snyder. Es ist eine paradiesische Insel für die Kinder, die hier leben. Wind, Wasser und Bäume schützen sie, keine wilden Tiere bedrohen sie, für Nahrung und Hütten ist gesorgt. Und nun ist es an Jinny, die Verantwortung für die Kleine, die ihren Namen mit „Ess“ angibt, zu übernehmen und ihr alles beizubringen, was für das Leben auf der Insel nötig und wichtig ist.
Wenig beachtet und kaum verstanden schwebt über allem der Reim „Neun Waisen auf einer Insel, allein auf der Welt/Einer mehr und der Himmel fällt...“ Doch Jinny hat andere Sorgen, denn die Erziehung von Ess fällt ihr ähnlich schwer wie sich daran zu gewöhnen, dass Deen fort ist. Ihn hat sie von allen hier am längsten gekannt und sie waren einander sehr vertraut.
Und dann tauchen da Fragen auf, ob sie alle wirklich Waisen sind. Verstärkt werden ihre Zweifel durch einen Brief, den Jinny in einem der Bücher findet, denn eine frühere Inselbewohnerin namens Abbie hatte ihn an ihre Mutter geschrieben. Aber auch die verwirrenden Aufgaben. Den Winzling Ess aufzuziehen, bringt sie so sehr ins Grübeln, dass sie die hergebrachten Traditionen anzweifelt: „Es gibt keine Gründe, nur Regeln.“
Dann aber kommt der Tag, an dem erneut die Glocke anschlägt und das Boot kommt. Jinny jedoch weigert sich einzusteigen. Als das Boot endlich allein wieder wegfährt, ist als Neuankömmling der kleine Loo zurückgeblieben. Ben, der Zweitälteste, wäre nun eigentlich für ihn zuständig, wäre Jinny gegangen.
Es kommt zu Streitgesprächen, denn Ben befürchtet Chaos. Jinny aber begehrt auf: „Welche Regeln? Wir haben doch keine Ahnung, warum wir das tun, was wir tun.“ Die Prophezeiung des Kinderreimes jedoch bricht sich bahn und alles verändert sich. Bis Jinny die Verantwortung übernimmt und ins Ungewisse geht, wohin auch immer.
Das Alles wird auf eine subtile, stille Weise erzählt und statt von Abenteuern wird die Geschichte von Tiefe und Atmosphäre durchzogen. Grundzüge erinnern an die biblische Vertreibung aus dem Paradies und am Ende bleiben weit mehr Fragen und Antworten. Fazit: ein geradezu philosophisches Buch mit viel Nachhall für junge Leser ab etwa 12. Anspruchsvoll, aber es lohnt, sich darauf einzulassen.

# Laurel Snyder: Insel der Waisen (aus dem Amerikansichen von Elisa Martins); 294 Seiten; Mixtvision Verlag, München; € 17

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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