WOLF HARLANDER: „42 GRAD“


Jahrhundertsommer nannte man in Deutschland die heißen, regenarmen Sommer von 2018 und 2019 und auch der diesjährige hatte Ansätze davon. Neben manch erfreulichen Aspekten für den Durchschnittsbürger und den Tourismus hatte diese hitzigen Monate aber auch erhebliche Nebenwirkungen, die teuer und schädlich waren.
Nun aber das: seit März dauerhaft Sommerhitze und weit und breit keine Spur von Regen. Auf seiner Heimreise entdeckt der Hydrologie-Student Julius Denner beim erneuten Auslöser eines Staus auf der Autobahn Verwirrendes, als er sich dem aufgebrochenen Loch nähert. Der Krater reicht gut zehn Meter tief, vor allem aber ist er bis auf den Grund staubtrocken.
Damit beginnt Wolf Harlanders Ökothriller „42 Grad“. In ganz Zentraleuropa brennt die Sonne unablässig, Flüsse fallen trocken und Waldbrände breiten sich fast ungebremst aus, weil der Feuerwehr das Löschwasser ausgeht. Aus der Schweiz wird der Ingenieur Noah Luethy von seiner Wasserbauberatungsfirma zu mehreren Notrufen in Wasserwerken entsandt. Alle haben Probleme mit stooternder Produktion von Trinkwasser. Die Werte haben sich deutlich verschlechtert und auch wenn die Behörden es noch nicht wahrhaben wollen: das sind keine statistischen Ausrutscher mehr.
Genau wegen solcher Anomalien reist die IT-Spezialistin Elas Forsberg von der European Environment Agency in Kopenhagen zur EU-Umweltzentrale nach Brüssel. Als wahres Netztrüffelschwein ist die ehemalige Klima-Aktivistin mit der heiklen Vergangenheit auf beunruhigenden Daten gestoßen. Danach droht die Extremwetterlage in ganz Europa zu einer sich dramatisch beschleunigenden Wasserknappheit zu führen.
Doch während Ingenieur Luethy im Dresdner Wasserwerk sogar beinah durch einen Anschlag ums Leben kommt und auch in anderen großen Wasserwerken wichtige Mitarbeiter tatsächlich ermordet werden, muss auch Elsa untertauchen. Zu heikel sind ihre neuesten Datenerkenntnisse und schließlich keimt der Verdacht auf, sie könnte immer noch mit den militanten Klima-Aktivisten wie denen von Blue Wave oder der neuen, höchst verdächtigen Grupope „Power to the Nature“ zusammenarbeiten.
In die Tusk Force des Bundesinnenministeriums sind jetzt auf zwei Ermittler des Bundeskriminalamtes einbezogen, denn kriminelle bis terroristische Kräfte scheinen die Katastrophenlage ausnutzen zu wollen. Oder schüren undurchsichtige Kräfte sie sogar – Elsa Forsberg jedenfalls fällt bei ihren Netzrecherchen bis hinein ins Darknet ein Muster der verheerenden Waldbrände in ganz Deutschland ein untypisches Muster der Verbreitung auf.
Bei 40° im Schatten wird die Katastrophe zunehmend zu Apokalypse mit extremer Wasserknappheit, Armeen von Wasserflüchtlingen und ersten Fällen von Anarchie: „Wenn du nichts mehr zu trinken hast, fällt die Zivilisation schnell in sich zusammen.“ Das zeigen in den spannungstreibenden Schauplatzwechseln auch die Einsatzkräfte in den Waldbränden, bei der Verteilung des strikt rationierten Trinkwassers und die Zusammenstöße der Verzweifelten.
Und während die zentralen Protagonisten teils direkt miteinander atemlos und unter massiven Bedrohungen versuchen, einen Weg aus der sich ausbreitenden Apokalypse zu finden, treiben andere Kreise ihre perfiden Pläne voran. Denn in all dem Chaos gibt es nicht nur die Krisengewinnler wie skrupellose „Water Lords“, es gibt auch einen selbsternannten Wohltäter mit sehr dubiosen Absichten und Maßnahmen.
Das Alles steuert auf ein furioses Finale zu, das nicht nur ebenso filmreif ist wie das gesamte Geschehen – es existieren tatsächlich bereits Pläne für eine Verfilmung. Literarisch darf man von „42 Grad“ nicht allzu viel erwarten, zumal Wolf Harlander Journalist aber kein Romancier ist. Die Protagonisten wie auch die Dialoge hätten mehr Konturen und Tiefe gut vertragen.
Die zahlreichen Einschübe von Zeitungsmeldungen und amtlichen Verlautbarungen allerdings sind nicht nur offensichtlich wie der gesamte Roman hervorragend recherchiert, man braucht sie als Leser auch als kleine informative Atempausen in diesem rasant voranpreschenden Thriller. Dessen herausragende Qualität liegt in der Botschaft von der beängstigend realen Bedrohung durch den Klimawandel. Hitzesommer, steigende Meeresspiegel bei gleichzeitiger Trinkwassernot auch in Europa und dazu zynische Marktmachenschaften, wobei gravierende Aspekte wie die Einwirkungen auf die Lebensmittelproduktion oder die rapide fortschreitende Eisschmelze an den Polen noch gar nicht eingeflossen sind.
Das Alles eingebettet in eine politische Großwetterlage, die nie gefährlicher war seit den Hochzeiten des Kalten Krieges, bietet dieses Buch eine ebenso atemberaubende wie schweißtreibende Lektüre. Mit den Gefahren und Einschränkungen durch die Corona-Krise lässt es sich leben, aber ohne Trinkwasser....

# Wolf Harlander: 42 Grad; 524 Seiten, Klappenbroschur; Rowohlt Polaris, Hamburg; € 15

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS) 

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