CHRISTOPH PETERS:
DORFROMAN
Das Dorf ist das Universum für den namenlosen Ich-Erzähler, jedenfalls auf den beiden
Zeitebenen, in denen das Geschehen maßgeblich stattfindet. Die dritte Ebene, die
Gegenwart, gibt den Rahmen vor, und sie lässt erkennen, wie nah das Alles nicht nur an
der Realität sondern auch an der Vita des Autors ist.
Christoph Peters, preisgekrönter Autor, stammt aus einem Dorf, das zu Kalkar gehört. Und
er nennt die stark autobiografische gefärbte Chronik der wilden Zeit dort schlicht
Dorfroman. Der es entgegen des Titels aber in sich hat, denn in die
rückständige ländliche Ruhe dringt der Aufruhr einer großen Verlockung.
Die Dörfler leben noch irgendwie hinterm Mond und das bundesrepublikanische
Wirtschaftswunder hat sich noch nicht hierher verirrt. Dafür sind die Strukturen
unerschütterlich festgefügt und der Bischof für die erzkonservative katholische
Bevölkerung ein so heiliger Mann, dass sein Wort über allem steht. Auch für den Vater
des erzählenden Grundschülers, der im Kirchenrat mit dafür sorgt, dass Kirchenland für
den Bau eines Atomkraftwerks verkauft wird.
Der Knirps wächst damit auf, dass alles seine Ordnung hat und für alle eine bessere
Zukunft bringen wird. Der Sprung zum nun 15-Jährigen aber zeigt, wie das umstrittene
Projekt zum Spaltpilz wird. Da entstehen Feindschaften quer durchs Dorf und auf dem Hof
des Bauern Praats ganz dem legendären echten Protestanführers Josef Maas
nachempfunden bildet sich eine Protestkommune gegen des Bau den Schnellen Brüters.
Und der Ich-Erzähler steht zwischen den Fronten mit den Eltern, die möglichst wenig von
seinen Ausflügen erfahren dürfen, und den schillernden Protestlern. Vor allem aber
schlägt die Pubertät voll durch, als er sich in Juliane verliebt und die ihn sogar bis
hin zum ersten Mal erhört. Dabei ist die ebenso eigenwillige wie aufmüpfige
Tochter eines Richters sieben Jahre älter als er und zuweilen nervt er sie mit seiner
einseitigen Verliebtheit sie hat nämlich einfach nur Lust.
Viel größere Zerreißproben sind für ihn jedoch die Vorstellungen der linken
Gegenkultur mit dem Aufbegehren gegen die gewachsenen erzkonservativen Strukturen. Da sind
die Eltern die es ja nur gut meinen für die Atomkraft, für die
NATO-Nachrüstung, für die Startbahn West. Und auf der anderen Seite stehen die
Brütergegner, die ja gezeigt haben, dass sie ihre persönlichen Interessen über
das Wohl der Gemeinde stellen und sich von kirchenfeindlichen Kreisen beeinflussen
lassen.
Die Dinge eskalieren und die Demos gegen den Bau des Schnellen Brüters erleben nicht nur
im Roman massive Angriffe der Staatsmacht. Angeführt vom echten Bauer Maas
wird die Anti-Atomkraft-Bewegung ein wesentlicher Anschub für das Entstehen der
ökologischen Bewegung und der Grünen. Als der Atommeiler 1986 entgegen allen
Widerständen fertiggestellt wird, passiert Tschernobyl und er geht nie in Betrieb.
Als der Ich-Erzähler über 30 Jahre später seine Eltern zu Pfingsten besucht, ist der
Schnelle Brüter seit Jahren ein bunt bemalter Freizeitpark. Er aber trägt sich schwer
mit dem Dorf, das nie wirklich behaglich oder gar idyllisch war. Das aber noch intensiv in
seinem Bewusstsein steckt als die Erinnerungen an Juliane, die damals auf recht
rätselhafte Weise verschwand: Wie lange kann man seine Illusionen aufrechterhalten,
ohne im falschen Leben zu landen?
Dorfroman ist ein großartiges Stück Literatur zu dem turbulenten
Zeitenwandel der Bundesrepublik in den 70er und 80er Jahren. Vor allem das authentische
Einfühlen in das Denken und die gesellschaftlichen Verhältnisse sind dafür ein ganz und
gar überzeugendes Zeugnis.
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