ILIJA TROJANOW: DOPPELTE
SPUR
Es beginnt am 12. Oktober 2018, als der Journalist Ilija Trojanow eine geheimnisvoll
kryptische Mail erhält. Brisantes kündigt ein Whistleblower aus offenbar westlicher
Anonymität. Während der Ich-Erzähler noch rätselt, ob er sich damit befassen soll,
geht eine weitere fast gleiche Mail ein. Ebenso kryptisch, doch diesmal auf Russisch.
Das ist der Einstieg in Doppelte Spur, von dem Erfolgsautor Ilija Trojanow
ebenso betont, dass es sich um einen Roman handelt wie auch, dass der Ich-Erzähler
gleichermaßen fiktiv sei. Um so realer aber wird das, was die seltsam parallelen
Whistleblower ihm zuspielen. Entlarvendes aus Politik und Wirtschaft wolle man ihm zur
Verfügung stellen, Bedingung: keine Kontakt mit den Medien vorab, sondern eine
Veröffentlichung des verarbeiteten Materials als Buch mit Knalleffekt.
Eingeweiht in brisante Geheimnisse von zwei Seiten, verpasst Trojanow den Punkt, an dem er
noch hätte abspringen können aus einem höchst gefährlichen Tun: Es war 16.24
Uhr. Sonntagnachmittag. Mein letzter freier Sonntag für eine halbe Ewigkeit. Zwar
arbeitet er dann doch nicht ganz allein sondern mit dem Kollegen Boris zusammen.
Und mit Emi, ebenfalls investigative Journalistin, mit der ihn bald mehr als nur die
Zusammenarbeit verbindet. Emi arbeitet gerade an einer heiklen Dokumentation über einen
Multimillionär, der reihenweise minderjärhige Mädchen missbraucht und für die
Partyspiele reicher Männer rekrutiert hat. Und noch klarer als der Fall Epstein leuchten
die zentralen Protagonisten durch die kaum vorhandenen Maskierungen.
Da ist der Präsident mit dem Tarnnamen Schiefer Turm. Ihm gegenüber steht
der russische Kollege Mikhail Iwanowitsch. Andere zwielichtige Strippenzieher
sind noch weniger verschleiert und egal, ob russische Oligarchen, Immobilienhaie,
Casinobetreiber, dubiose Kunsthändler oder Großbetrüger erstaunlich viele von
ihnen stehen auf der Bewohnerliste eines sehr bekannten luxuriösen Wohnturms mitten in
New York City.
Zentrale Botschaft der Investigatoren ist die Erkenntnis der bitteren Wahrheit: die
Mafia ist nicht Teil des Staates, der Staat ist Teilo der Mafia. Wobei Geldwäsche
und Abhängigkeiten herausragende Themen sind und der Schiefe Turm gilt dabei
als Waschsalon in den USA für die Russen. Man hat ihn ja so nett am Haken, den eitlen
Gockel, der erstmals 1977 durch die Heirat mit einer blonden Schönheit aus der CSSR in
die Akten des KGB Eingang fand.
Die Personen und Machenschaften dieses irren globalen Wirtschafts- und Politkrimis lassen
sich durchweg ohne große Mühe bei Google auffinden. Und die ein oder andere besonders
prickelnde Passage wie die über das in Wahrheit oberpeinliche Vieraugengespräch der
beiden Präsidenten in Helsinki entspringen vermutlich echten Indiskretionen.
Schiefer Turm kommt im gesamten Roman denkbar schlecht weg, was er sich durch
reales Tun aber auch redlich verdient hat.
Man sollte als Leser allerdings zum Einen mit dem aktuellen politischen Geschehen vertraut
sein und andererseits Gefallen an solchen entlarvenden Fiktionalisierungen haben, um auf
den vollen Genuss zu kommen. Die realen Fakten sind reichlich vorhanden und das etwas zu
Lasten einer mitreißenden Romanhandlung. Aber immerhin begeben sich die drei Aufdecker in
derart echte Gefahr, dass es sogar einen Toten gibt und sich der Ich-Erzähler aus
Sicherheitsgründen zum Verfassen des Whistleblower-Buches in ein Dschungeldorf
zurückzieht.
Fazit: ein ziemlich verwegener Polit-Roman, hart an der Realität, aber im wesentlichen
nur füpr Freunde dieses Genres ein echtes Lesevergnügen.
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