TINA BRECKWOLDT: „DIE GANZE WAHRHEIT ÜBER MÜNCHHAUSEN & CO“


Münchhausen ist weltberühmt, doch so manch einer weiß gar nicht, dass es nicht nur seine verrückten Abenteuergeschichten sondern auch ihn selbst wirklich gab. Vor 300 Jahren wurde Hironymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen als Spross eines ganz alten niedersächsischen Adelsgeschlechts geboren.
Wer aber war er, hat er seine aufschneiderischen Geschichten tatsächlich selbst erlebt oder erfunden? Pünktlich zum Jubiläum dieses historischen Münchhausen (1720-1797) hat sich die Historikerin Tina Breckwoldt dem Thema gewidmet und versucht, „Die ganze Wahrheit über Münchhausen & Co“ - so der Titel ihres Sachbuchs – herauszufinden.
Im ersten Teil geht sie auf die Biographie des Landadeligen aus Bodenwerder ein. Wobei ihre sehr gründlichen Recherchen einerseits manche schwer zugänglichen Quellen einbringen, andererseits über die Person dieses Münchhausens wenig überliefert ist und kaum schriftliche Quellen überliefert sind. Bekannt aber ist, dass Münchhausen schon mit zwölf Jahren zum Dienst unter anderem am russischen Kaiserhof geschickt wurde und zu seinen Wanderjahren gehören allerlei Abenteuer meist militärischer Natur.
Mit 30 Jahren heimgekehrt, ging er eine lange glückliche Ehe mit seiner Jacobine ein, die allerdings kinderlos blieb. Und Münchhausen erwies sich als eine Art Gesellschaftslöwe mit illustren Gästen, der köstlich überdrehte Anekdoten von angeblichen Heldentaten darbrachte. Als Jäger wurde er außerdem für sein Jägerlatein gerühmt. Aber – dieser geborene Entertainer frönte seiner Fabulierkunst ausschließlich in seiner privaten Welt: „Wen er dazu einlädt, entscheidet er, das ist Vertrauenssache.“
Um so empörter reagiert er auf die Veröffentlichung des Buches „Wunderbare Reisen zu Wasser und Lande, Feldzüge und lustige Abentheuer des Freyherren von Münchhausen, wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzählen pflegt.“ Wobei es verwirrenderweise 1786 in London erschienen und erst aus dem Englischen übersetzt worden sei.
Münchhausen empfindet diesen Diebstahl seines geistigen Eigentums als einen Verlust von Identität und Ehre, zumal das Ganze unter seinem Namen publiziert wurde. Hinzu kommt, dass den 17 „echten“ Münchhausen-Geschichten 14 neue hinzugefügt wurden. Schon die offenbar von dem großspurigen Privatgelehrten Raspe – als „kriminelles Genie“ eingeordnet – in England veröffentlichte Version war ein großer Erfolg.
Noch mehr dann die angereicherte deutsche Fassung, für die Tina Breckwoldt als unautorisierten Autor den Göttinger Gelehrten und mäßig erfolgreichen Dichter Gottfried August Bürger verantwortlich macht. Münchhausens Freunde können den so Düpierten nur unter Hinweis auf die drohenden hohen Kosten vom Beschreiten des Rechtsweges gegen das Buch mühsam abhalten.
Die den ehrenwerten Baron dann später doch noch ruinieren werden und das in doppelt infamer Weise. Nach langjähriger Ehe verwitwet, verfiel er mit 74 Jahren dem hinterhältigen Treiben des Majors zu Brunn. Der hatte eine Tochter bereits an einen alten General verheiratet. Nun gelang es ihm, den alten Landadeligen in die Ehe mit der über 50 Jahre jüngeren Bernhardine von Brunn zu locken.
„Ein starkes Saugwerk zur Erleichterung seines Beutels“ wurde schon seinerzeit gelästert und dann setzte sie ihm auch noch Hörner auf. Als er sich der inzwischen auch noch Schwangeren entledigen wollte, setzte ein zäher schmutziger Scheidungsprozess ein. Bei dem das Früchtchen die Glaubwürdigkeit der Vorwürfe Münchhausens erfolgreich untergrub – schließlich sei er eine berühmter „Lügenbaron“.
In den weiteren Teilen geht die Autorin dann noch auf die Bandbreite von Lügen über Jägerlatein und Seemannsgarn bis hin zu Fake News ein. Daneben stellt sie andere Märchen- und Fabulierkünstler sowie die noch heute verbreiteten Spuren Münchhausens in Literatur, Film und Werbung vor. Wobei abschließend festgestellt wird, dass die Bezeichnung Lügenbaron längst keine Schmähung mehr ist, Obwohl sie andererseits auch wieder gar nicht zutrifft, denn was Münchhausen auftischte, waren Flunkergeschichten, jeweils so fantastisch aufgebauscht und ausgemalt, dass ihre reine Erfindung offensichtlich war und nur der vergnüglichen Unterhaltung diente.
Fazit: eine gut recherchierte und sehr unterhaltsam zu lesende Richtigstellung zum Phänomen des Freiherrn von Münchhausen.

# Tina Breckwoldt: Die ganze Wahrheit über Münchhausen & Co; 283 Seiten, div. Abb.; Benevento Verlag, Salzburg/München; € 24

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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