VANESSA SPRINGORA: „DIE EINWILLIGUNG“


Sie war noch keine 14, als ihr der 36 Jahre ältere gefeierte Schriftsteller G.M. Den Hof machte und es auch mühelos schaffte, sie zu seiner Geliebten zu machen. Als die über geraume Zeit nicht nur sexuell Ausgebeutete nach mehr als 30 Jahren in der Lage war, darüber einen autobiografischen Roman zu verfassen, löste der Anfang dieses Jahres bei seinem Erscheinen sofort mehr als nur einen Skandal aus.
Autorin ist die 48-jährige Verlagsleiterin Vanessa Springora und der Titel des Buchs lautet „Die Einwilligung“. Was auch den eigentlichen Skandal hinter dem beschriebenen realen Geschehen ausmacht. In den 70er und 80er Jahren gab es in der linken französischen Intellektuellenszene eine starke Bewegung, die eine Liberalisierung des Strafrechts bei Beziehungen zwischen Erwachsenen und Minderjährigen forderte.
Zu den Unterzeichnern einschlägiger Schriften zur entsprechenden freien Entfaltung der Sexualität zählten große Namen wie Simone de Beauvoir und Jean-Paul Satre. Wie später nicht nur in Frankreich wurde stets die Einvernehmlichkeit des Sex als Voraussetzung betont. Vanessa Springora aber führt dieses abstruse Ansinnen in ihrem Memoirenband unmissverständlich ad absurdum: wie kann eine 14-Jährige mit einem 50-Jährigen gleichberechtigt eine Einwilligung aussprechen für einen solch massiven Eingriff in die Entwicklung als Jugendlicher?!
Zu den Propagandisten dieser speziellen Freizügigkeit gehörte damals auch G.M., dessen Identität im Januar 2020 sogleich publik wurde: es handelte sich um den inzwischen 83-jährigen Gabriel Matzneff. Und der war berühmt-berüchtigt für seine einschlägigen Romane, in denen er immer wieder lustvoll die großen Annehmlichkeiten sexueller Beziehungen zu Minderjährigen ausmalte.
Doch Matzneffs ausufernden und strafrechtlich auch in Frankreich relevanten Sexfantasien waren eben nicht nur Fiktion. Vanessa Springorum war vielmehr ganz real und entsprach genau dem Idealtypus seiners Beuteschemas. Als sie ihn bei einem Abendessen mit ihrer Mutter kennenlernte, war die 13-Jährige für jegliche Avancen wie ein offenes Scheunentor. Der krankhafte cholerische und gewalttätige Vater hatte die Mutter verlassen, als sie eben sechs Jahre alt war: „Ein abwesender, unerreichbarer Vater, der eine unergründliche Leere in meinem Leben hinterlassen hat.“
Und dann umgarnt sie plötzlich dieser sehr erwachsene bekannte Literat mit der Erscheinung eines hageren buddhistischen Mönchs mit übernatürlich blauen Augen: „Die Präsenz dieses Mannes hat etwas Kosmisches.“ Schnell hatte der Pädophile das unschuldige Mädchen im Bett und in der Rückschau erinnert sie sich an den ersten Sex, bei er sie penetrierte „wie einen Knaben“.
So flüsterte er es ihr zärtlich zu, doch später wurde ihr deutlich, wie zynisch diese Aussage wirklich war – bei regelmäßigen Aufenthalten auf den Philippinen ergötzte er sich an gekauften elfjährigen Knaben. Vanessa aber erlebt über einen längeren Zeitraum seine Ausgeburten und muss verstört die Verlogenheit der Situation und seiner Liebesschwüre erkennen: „Der Zauber ist zerbrochen und der Märchenprinz hat seine wahres Gesicht gezeigt.“ Das eines alten Perversen.
Als ihr mit 16 der Absprung gelingt, ist sie psychisch schwer geschädigt und braucht Jahrzehnte bis zu einer vollständigen Erholung. Das besonders Empörende aber war für sie der zweite große Missbrauch durch den krankhaften Kinderschänder, der sein Tun als Wohltat für unerfahrene Minderjährige aus prekären familiären Verhältnissen glorifiziert. In seinen unablässig herausgebrachten Büchern beutet er Vanessa auch noch literarisch aus: die Romane schildern konkret mit ihr Erlebtes, die verarbeiteten Tagebücher erscheinen detailliert bis hin zu ihren Briefen.
Und hier nun setzt das inzwischen auf festen Füßen stehende Opfer seiner abartigen Begierden an: mit „Die Einwilligung“ nimmt sie Revanche. Sie schreibt sich ihre Empörung so offen und so explizit von der Seele, dass das Buch Matzneff sofort und komplett enttarnt. Mit umgehenden Folgen, denn die Staatsanwaltschaft leitet Ermittlungen gegen ihn ein, sein Verlag beendet den Verkauf seiner Bücher und die Kultusministerium will ihm die Zusatzrente für alternde Künstler mit geringem Einkommen streichen.
Doch dieses sehr berührende Buch, das in Frankreich sofort ein Bestseller wurde, stellt mit der klaren Realität seiner NonFiktion auch ein Thma an den Pranger, das viel zu lange durch einen seltsam verlogenen Glorienschein verharmlost wurde.

# Vanessa Springora: Die Einwilligung (aus dem Franzlösischen von Hanna van Laak); 175 Seiten; Blessing Verlag, München; € 20

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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