PHILIP KERR: „TROJANISCHE PFERDE“


Bernie Gunther kommt in die Jahre. Alte Kameraden haben dem einstigen Kriminalbeamten, der im Berlin der 30er Jahre und dann auch im Dritten Reich ein knallharter Spitzenermittler war, eine neue Identität besorgt. Als Leichenhauswärter Christof Ganz fristet er nach heftigen Zeiten ein bescheidenes Leben in München.
Ins Jahr 1957 hat ihn Autor Philip Kerr (1956-2018) in seinem mittlerweile 13. Gunther-Roman unter dem Titel „Trojanische Pferde“ versetzt. Der Spätfünfziger ist abgekämpft, desillusioniert und will nichts als seine Ruhe. Dann aber wird er bei der Untersuchung eines Bombenopfers ausgerechnet vom einstigen Kollegen Schramma erkannt. Der Kriminalist war schon in Berlin ein mieser Charakter und jetzt erpresst er Gunther, bei einem Verbrechen mitzumachen.
Doch Gunther hat seine alten Instinkte nicht verlernt und kann Schramma düpieren. Weil er nun jedoch einen Anwalt braucht, wendet er sich an jenen Mann, dem die Tat indirekt hätte gelten sollen. Ebenfalls ein alter Bekannter aus Berliner Zeiten: Dr. Max Marten. Und dieser – historisch echte Anwalt – war damals nach Gunthers Wissen ein unscheinbarer Mitläufer.
Über ihn ergattert Gunther/Ganz den Job eines Schadensregulierers bei der „Münchner Rück“ - jene echte große Versicherungsgesellschaft, die schon mit den Nazis intensiv im Geschäft war. Bald wird er nach Athen entsandt, wo der Zweimastschoner des deutschen Schatztauchers Witzel in Flammen aufgegangen ist, einschließlich seiner wertvollen Ladung antiker Artefakte.
Es gibt Grund für Misstrauen, weshalb Gunther in Witzels Haus eindringt. Er findet er ihn tot, ermordet durch Schüsse in die Augen. Diese Spezialität kennt Gunther nur von einem, dem extrem skrupellosen SS-Hauptsturmführer Alois Brunner – auch er ein echter Nazi-Scherge. Mehr und mehr nimmt das Geschehen Fahrt auf und dies entlang wahrer Begebenheiten, denn Max Merten ist auf derselben Spur wie Brunner: dem Goldschatz der Juden von Salonika (heute Thessaloniki).
Gunther muss nun erkennen, dass Max Merten in Wahrheit als SS-Offiziere der große Organisator war, der den rund 50.000 Juden Salonikas Gold, Juwelen und andere Werte gegen das Versprechen günstiger Behandlung bei den anstehenden Deportationen abnahm. Tatsächlich aber überlebten kaum 2000 dieser Menschen.
Es wird ein hartes Ringen, in dem auch eine Agentin des Mossad mitspielt. Doch die historischen Fakten verhindern ein Ende, das der Gerechtigkeit zum Sieg verhilft. Und Philip Kerr macht aus den beschämenden Fakten im Nachwort kein Hehl. Brunner, ehemaliger enger Mitarbeiter von Adolf Eichmann, kann untertauchen und stirbt in hohem Alter in Syrien. Merten wird zwar von einem griechischen Gericht als Kriegsverbrecher zu 25 Jahren verurteilt, kommt aber nach acht Monaten per Generalamnestie in Freiheit. Parallel schließen die Bundesrepublik und Griechenland Anfang 1960 ein „Wirtschaftsabkommen“ über lächerliche 115 Millionen DM als Reparationen und Mertens erhält daheim sogar noch eine großzügige Haftentschädigung.
Wie immer erzählt Kerr das mit knorrig sarkastischem Charme. Aufgrund der historischen Korsettstangen und dem Verzicht auf den üblichen Wechsel zwischen Gegenwart und Geschehen in der Nazi-Zeit fehlt es zuweilen ein wenig an der gewohnten dramaturgischen Hochspannung. Ansonsten aber ist auch dieser Gunther-Roman wieder ein Meisterwerk des Genres.
Und in der Trauer um den viel zu frühen Tod des Autors gibt es einen kleinen Lichtblick: ihm gelang zuvor noch Fall Nummer 14, der unter dem Titel „Metropolis“ in die Zeit zurückführt, als sich der junge Kriminalbeamte in Berlin seinen exzellenten Ruf erarbeitete. Kritisch anzuführen sind abschließend ein paar Feinheiten der Übersetzung – gleich zweimal führt Gunther in Gesprächen Beispiele von weiblichen Fliegerassen seiner jungen Jahre an. Ein in Deutschland aufgewachsener und lebender Kriminalbeamter hätte aber sicherlich nicht Amelie Earhart und Amy Johnson erwähnt sondern garantiert eher die sehr vergleichbaren aber deutschen Heldinnen Elly Beinhorn und Hanna Reitsch...

# Philip Kerr: Trojanische Pferde (aus dem Englischen von Axel Merz); 492 Seiten; Wunderlich Verlag, Hamburg; € 24

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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