KATRINE ENGBERG: „GLASFLÜGEL“


In seinem dritten Fall unter dem Titel „Glasflügel“ muss der Kopenhagener Polizeiassistent Jeppe Körner ohne Anette Werner mit einer bizarren Mordserie klarkommen, denn seine Partnerin befindet sich in der von ihr ungeliebten Elternzeit.
Nach „Krokodilwächter“ und „Blutmond“ drapiert Autorin Katrine Engberg diesmal an drei Tagen hintereinander Springbrunnen in Dänemarks Hauptstadt mit nackten Leichen. Jeweils nächtlich abgelegt, weisen sie ein mysteriöses Mordmuster auf: an Handgelenken und in der Leiste wurden ihnen mit einem altmodischen Schröpfmesser dutzendweise kleine Schnitte beigebracht.
Doch die Opfer sind nicht nur jeweils qualvoll langsam ausgeblutet, es gibt auch eine weitere Gemeinsamkeit: sie waren einst Kollegen in der Wohnstätte Sommerfuglen für psychiatrisch gestörte Jugendliche. Die war vor Jahren nach einem ominösen Selbstmord und dem Unfall eines Mitarbeiters geschlossen worden.
Während Jeppe nun einerseits Druck von oben bekommt wegen der Öffentlichkeitswirksamkeit der „Springbrunnenmorde“, schiebt er auch Probleme mit seiner Mutter vor sich her. Bei der hatte er sich nach dem Scheitern seiner letzten Beziehung wieder eingenistet und wird seither intensiv bemuttert. Wie aber soll er ihr klarmachen, dass er inzwischen wieder eine Freundin hat und mit der zusammenziehen will?
Kollegin Anette dagegen muffelt frustriert, denn die wuchtige 44-jährige Powerfrau fühlt sich durch das schreiende Baby zur Melkmaschine degradiert. Und setzt sich prompt zum Stillen bevorzugt in ihr Auto, um dabei den Polizeifunk abzuhören. Als sie sich schließlich heimlich in die Ermittlungen Jeppes einmischt, wird es sogar lebensgefährlich.
Der für sich gesehen eher normale Krimi lebt aber auch sonst von seinen Charakteren und die sind diesmal deutlich stärker ausgeprägt als in den bisherigen Fällen. Wobei auch die Nebenfiguren für eine bunte, fesselnde Lektüre sorgen. Allen voran die inzwischen 69-jährige ehemalige Literaturdozentin Esther de Laurenti, erstmals aufgetreten in „Krokodilwächter“.
Wegen mangelnder Lebensfreude nimmt sie Sitzungen bei einem Psychiater und erlebt dann unverhoffte erotische Freuden mit dem angeblichen französischen Konzertpianisten Alain, einem neuen Hausmitbewohner. Samt diesen ausgefeilten Protagonisten und der in skandinavischen Krimis unerlässlichen Portion Sozialkritik – hier an den unwürdigen Zuständen in den psychiatrischen Einrichtungen des Landes – bietet „Glasflügel“ hohe Qualitäten und man mag nicht glauben, dass es bei den angekündigten drei Romanen dieser Kopenhagen-Krimis bleibt.

# Katrine Engberg: Glasflügel (aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg); 424 Seiten; Diogenes Verlag, Zürich; € 20

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: BEL 1462 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de