KATE KIRKPATRICK: „SIMONE de BEAUVOIR“


Simone de Beauvoir (1908-1986) war eine der einflussreichsten aber auch umstrittensten Frauen des 20. Jahrhunderts. Erfolgreiche Schriftstellerin, Philosophin und stets verbunden mit dem Namen Jean-Paul Sartre.
„Man wird nicht als Frazu geboren, man wird dazu gemacht“ lautet ihr wohl berühmtester Satz und viele sehen die französische Existentialistin als feministische Ikone schlechthin. Zugleich wird sie immer wieder zur Hälfte des legendären intellektuellen Liebespaars Sartre/de Beauvoir verkleinert. Dabei wird der großen Denkerin zu Unrecht der Anspruch auf Unabhängigkeit und Originalität abgesprochen.
Um so verdienstvoller ist die Biografie der britischen Wissenschaftlerin Kate Kirkpatrick unter dem Titel „Simone de Beauvoir. Ein modernes Leben“. Frei von den überbrachten Streitlinien über Wirken und Bedeutung der freisinnigen Kämpferin für die Emanzipation der Frau geht die Dozentin für Philosophie an der University of Hertfordshire und Dozentin für Theologie am St. Peter's College Oxford und am King's College London ihre Untersuchung und Analyse von Leben und Werk an.
Es ist die erste Biografie seit der Veröffentlichung der Briefe und Tagebücher de Berauvoirs und ein letztes entscheidendes neuen Licht wirft der erst 2018 zugänglich gewordene Briefverkehr zwischen ihr und Claude Lanzmann auf die Vita der Künstlerin. Natürlich eröffnet auch Kirkpatrick die Lebensbeschreibung mit de Beauvoirs arg katholisch geprägter Kindheit, die dennoch 1929 die Begegnung mit dem drei Jahre älteren Studenten Jean-Paul Sartre zum Beginn einer lebenslangen höchst unkonventionellen engen Beziehung zwischen zwei nach neuen Freiheiten strebenden Intellektuellen zu einer Art Urknall in beider Leben werden lässt.
In dieser „offenen“ Beziehung, in der sie nach neuen Möglichkeiten des Zusammenlebens einschließlich „kontingenter“ Beziehungen nebenher forschten, blühte im Laufe all der intellektuellen Streitigkeiten nicht nur der vom brillanten Sartre propagierte Existentialismus, der Berserker des Schreibens wurde für de Beauvoir „der unvergleichliche Freund meines Denkens“.
Zugleich sah sie sich selbst stets als die Literatin, die sie immer werden wollte, und Sartre als den Philosophen. Obwohl sie zweifellos selbst eine große Denkerin war, die mit Eifer und Leidenschaft versuchte, ihre Philosophie der Freiheit auch zu leben. Und 1949 mit ihrem Opus magnum „Das andere Geschlecht“ mit weltweitem Erfolg die feministische Bibel schlechthin in eine noch äußerst konservative Welt schleuderte.
Dass sie auch mit ihrem Liebesleben mit Männern und etlichen jungen Frauen dabei neue Maßstäbe setzte, sorgte für moralischen Aufruhr. Zugleich wurden ihre Romane große Erfolge und sie und Sartre waren ein ebenso umstrittenes und angefeindetes wie auch einflussreiches Paar. Vieles über ihr privates Leben aber blieb eher im Hintergrund und mit ihrer späteren – und wiederum in Buchform sehr erfolgreichen - mehrteiligen Autobiografie zeichnete sie ein Bild von sich selbst, das nur zum Teil ihrer wahren Vita entsprach.
Und dies ist die besondere Qualität von Kate Kirkpatricks Werk, das sich dank der Auswertung von erst in jüngerer Zeit zugänglichen Tagebüchern und Briefen nun auch auf die Geschichte der Simone de Beauvoir bezieht, die diese in all ihrer Sprachgewalt und Komplexität nicht öffentlich gemacht sondern auf eigene Weise umgedeutet hat.
Dabei konnte die Biografin einfach nicht übersehen, dass die Literatin eben auch eine hochkarätige und trotz Satres übergroßem Schatten absolut eigenständige Philosophin war. Die dabei auch stets versuchte, diese neue eigene Philosophie der Freiheit selbst zu leben. Andererseits deckt der jüngst zugänglich gewordene Schriftverkehr der längst arrivierten Künstlerin, die mit 44 Jahren das Ende der intensiven Liebesbeziehung mit dem amerikanischen Kollegen Nelson Algren nur schwer verschmerzen kann, und dem 17 Jahre jüngeren Dokumentarfilmer Claude Lanzmann. Statt wie befürchtet am Ende ihres auch sexuellen Liebeslebens zu stehen, beginnt nu für sieben Jahre das, was sie selbst einmal ihre große Liebe nennt. Und Lanzmann ist der einzige Partner, mit dem sie sogar zusammen in einer Wohnung lebte. - Schilderungen, die zusammen mit den anderen neuen Quellen ein deutlich schärfer umrissenes authentisches Porträt der faszinierenden Kultfigur möglich gemacht hat.
Manche Geheimnisse werden wohl nie aufgedeckt werden. Und warum auch, so sie selbst doch zum Lebensende hin feststellte: „Wichtig war mir vor allem mein Kopf, alles andere war sekundär“. Fazit: eine in jeder Beziehung brillante Biografie, die Maßstäbe setzt.

# Kate Kirkpatrick: Simone de Beauvoir. Ein modernes Leben (aus dem Englischen von Erica Fischer und Christine Richter-Nilsson); 523 Seiten, div. Abb.; Piper Verlag, München; € 25


WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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