JILL LEPORE: „DIESE WAHRHEITEN“


Es gibt zahlreiche Abhandlungen über die Geschichte der USA. Die vielfach preisgekrönte Historikerin Jill Lepore aber geht das Thema mit einem Hybrid aus Sach- und Fachbuch an, das sich im wesentlichen der Politikgeschichte von der Kolonialisierung und Staatengründung bis in die Gegenwart widmet.
„Diese Wahrheiten. Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika“ lautet der Titel und mit den Wahrheiten meine Gründervater Thomas Jefferson jene historischen Verankerungen der Grundsätze von politischer Gleichheit, den Naturrechten und einer Volkssouveränität. Die Professorin für amerikanische Geschichte an der Harvard Universität untersucht Wahrheit und Wirklichkeit der Entwicklung seit der Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776.
Für die Sklaven erfüllten sich die in diese Rechte gesetzten Hoffnungen selbst nach dem Bürgerkrieg (161-1865) nicht, der sich ja an der Frage des Verbots der Sklaverei entzündet hatte. Vielmehr kamen statt Freiheit und Gleichheit sogar Gesetze zur Rassentrennung und selbst die Bürgerrechtsgesetze der 1960er Jahre beseitigten den allgegenwärtigen Rassismus bis heute nicht wirklich.
Doch Lepore geht auf weit mehr ein als dieses Dauerthema, schlüsselt die gesamte ordnungspo9litische Entwicklung der US-Demokratie auf, die bereits seit etwa Mitte des 19. Jahrhunderts parteipolitisch durch die Zweiteilung zwischen Republikanern und Demokraten geprägt ist. Das ganz konkrete Funktionieren wird dargelegt und wie die Installation und der zunehmende Einfluss des Supreme Court zum immer gewichtigeren – aber auch politisch manipulierbaren – Machtinstrument wurde.
Aber auch andere Aspekte wie die Veränderung vom stark agrarischen zum hochindustrialisierten Amerika haben das Land geprägt. Wobei die Industrialisierung jedoch weder einen wirklichen Klassenkampf noch ein mit europäischen Staaten vergleichbares Sozialsystem generierte. Wer da scheiterte oder entwurzelt wurde, zog gen Westen. Die großen neu gewonnenen Gebiete wirkten dazu als Sicherheitsventil.
Ebenso komplex wie spannend lesen sich die vielen Schilderungen über den Kampf verschiedener Denkschulen wichtiger politischer Vertreter der US-Geschichte wie u.a. solch grundlegend wirkender Präsidenten wie die beiden Roosevelts. Hinzu kommen Analysen solch einflussreicher Medien wie Presse und Radio, ohne die viele Entwicklungen undenkbar gewesen wären.
Das mündet in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in epochale neue Felder wie dem Siegeszug des Computers mit maßgeblichem Einfluss auf die gesamte Gesellschaft. Und Jill Lepore durchleuchtet die gravierenden politischen Umbrüche, die von Neuerungen des Informationszeitalters in alle politischen und soziologischen Bereiche der Bevölkerung ausstrahlen.
Die Autorin macht deutlich, inwieweit – oder wie wenig - „diese Wahrheiten“ der Gründerväter von einst Wirklichkeit geworden sind. Fazit: das ist große anspruchsvolle Geschichtsschreibung mit einem wissenschaftlich sezierenden Blick.

# Jill Lepore: Diese Wahrheiten. Geschichte der Verienigten Staaten von Amerika (aus dem Amerikansichen von Werner Roller); 1120 Seiten, div. SW-Abb.; C. H. Beck Verlag, München; € 39,95


WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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