RAYMOND
CHANDLER: DER GROßE SCHLAF
Als US-Autor Raymond Chandler 1939 seinen Debütroman Der große Schlaf
herausbrachte, schuf er damit quasi ein neues Genre: den krimi noir.
Kriminalromane waren bis dahin zumeist vom Typus her wie bei Agatha Christie mit dem
Täter in einer ansonsten wohlgeordneten Gesellschaft versehen, als Gut und Böse klar
sortiert.
Einsame Ermittlerhelden im Sumpf der Großstädte fanden am ehesten in Groschenheften
statt. Chandler aber machte mit seinem Roman den Krimi zur Literatur. Ganz abgesehen
davon, dass der exzellent verfasste Stoff 1946 auch als Film mit dem legendären
Marlowe-Darsteller Humphrey Bogart gleich auch noch den Trend des film noir
eröffnete.
Nun gibt es Der große Schlaf nicht nur in einer Neuauflage wieder, der Roman
wurde vom preisgekrönten Übersetzer Frank Heibert auch neu übersetzt. Was dem Stoff
für deutschsprachige Leser zu einer großartigen Neuentdeckung dieses Klassikers
verhilft, denn Heibert folgt deutlich enger und zugleich mit kongenialem Sprachgefühl dem
meisterhaften, sehr eigenen Stil des spachgewaltigen Chandler.
Wie er in einem Nachwort erläutert, waren ihm die Feinheiten der raffinierten Geschichte
und dieses bewusste Spiel mit harter Fassade und menschlicher Tiefe wichtig.
Marlowe ist ja ein abgebrannter Ermittler, der selbst manchen Lastern recht
entspannt gegenübersteht und doch seinen inneren Moralkodex pflegt.
Als cooler Ich-Erzähler ist er so abgebrüht und zynisch wie die Brut, deren
Machenschaften er verfolgt. Um dann doch in diesem Sumpf von Verkommenheit und Verbrechen,
der im Los Angeles dieser Jahre offenbar überall die strukturen der Gesellschaft
durchzieht, als eine Art gebrochener Held zwar auch die letzten Illusionen aber nicht die
aufrechte Haltung zu verlieren.
Da führt Chandler schon mit der berühmten Eröffnungsszene in die dichte Atmosphäre
dessen ein, was da allenthalben brodelt: das überhitzte, vom Duft von Fäulnis und
Lüsternheit geschwängerte Orchideengewächshaus des reichen aber schwer kranken Generals
Sternwood. Die jüngere Tochter Carmen ein Flittchen, das sich und damit ihren Vater durch
Drogen- und Spielsucht erpressbar macht. Und die ältere Schwester Vivienne, zwar
intelligenter aber ähnlich lasterhaft und mit einem Hang zu zwielichtigen Männern. Da
geht es um mehr als nur Erpressung, Viviennes obskurer Ehemann ist verschwunden und
irgendwann gibt es auch Leichen. Niemand spielt mit offenen Karten, die Cops sind korrupt,
die Handlung ist komplex und mittendrin dieser hard-boiled detective namens
Philip Marlowe.
Bei Chandler hat die Welt ihre Unschuld verloren, stellt denn auch Krimi-Ikone
Donna Leon im zweiten Nachwort der Neuerscheinung dieses Meilensteins der
Spannungsliteratur fest. Fazit: auch wer diesen Klassiker als Roman und Film zu kennen
meint so frisch in dieser Fassung ist er gleichwohl für jeden Krimi-Liebhaber ein
Leckerbissen.
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