GERRIT REICHERT: U 96
REALITÄT UND MYTHOS
Durch den Welterfolg des Films Das Boot von 1981 bekam der Krieg der deutschen
U-Boote im Zweiten Weltkrieg einen ganz eigenen Mythos. Schon die 1973 entstandene
Buchvorlage von Lothar-Günther Buchheim (1918-2007) unter demselben Titel hatte dafür
glänzende Vorarbeit geleistet.
Aber wie viel davon entsprach den historischen Fakten, denn schließlich gab es
dieses U-Boot und dessen Alten, Kapitänleutnant Heinrich Lehmann-Willenbrock,
wirklich. Der Journalist Gerrit Reichert hat sich dieser Frage gewidmet und in
vierjähriger Recherchearbeit manch Erstaunliches herausgefunden.
Das daraus entstandene Buch gibt dazu unter dem Titel U 96 Realität und
Mythos sachlich fundierte Auskunft. Der Untertitel lautet Der Alte und
Lothar-Günther Buchheim und beide stehen mit ihren Biografien im Mittelpunkt. Wobei
die von Lehmann-Willenbrock, 1911 geboren und entgegen dem Film erst 1985 gestorben, zu
Unrecht recht wenig bekannt ist.
Immerhin war er nicht nur eines der der Asse unter den U-Bootfahrern mit besonders hohen
Versenkungsziffern, er brachte es in der Nachkriegszeit zum hoch angesehenen Offizier der
Handelsmarine und wurde 1968 Kapitän des atomgetriebenen Forschungsschiffes Otto
Hahn. Auch Buchheim, mit dem Lehmann-Willenbrock eine Freundschaft verband, die erst
über Das Boot zerbrach, machte Karriere nach dem Krieg, wenngleich als eine
ungleich spektakulärere als Maler, Kunstsammler und insbesondere als Buchautor.
Vor allem Das Boot begründete seinen Ruhm, in dem er quasi als NonFiktion die
eigene Fahrt als sogenannter Sonderführer als Kriegsberichter vom 27. Oktober
bis 7. Dezember 1941 an der siebten Feindfahrt von U 96 niederschrieb. Dieses Buch mit all
seinen höchst realistisch wirkenden Tatsachenschilderungen musste ja authentisch sein und
entsprechend prägte es auch dank der schriftstellerischen Künste Buchheims wie kein
anderes das Bild des Krieges der grauen Wölfe im Atlantik.
Doch nicht nur die Abweichungen von der überlieferten Geschichte des Bootes, das in
Wirklichkeit erst am 30. März 1945 in Wilhelmshaven durch Bomben versenkt wurde, und
dessen Alter zu diesem Zeitpunkt längst Chef der 11. U-Bootflottille in
Bergen war, machten stutzig. Und Autor Reichert stieß nicht nur auf zahlreiche Quellen in
Archiven und durch den Sohn von Lehmann-Willenbrock, es tat sich eine entscheidende Quelle
in Person des Leitenden Ingenieurs (LI) Friedrich Grade auf.
Der inzwischen 103-Jährige letzte Überlebende von U 96 gab Einblick in seine
Tagebücher, die er damals entgegen allen Dienstvorschriften geführt hatte. Die nahmen
dem Buchheim-Roman und noch mehr dem Film von Wolfgang Petersen einen erheblichen Teil
seiner dampfenden und aufgeputschten Dramatik.
Als besonders verblüffenden Beweis zeigt Reicherts Buch Fotos aus jener besonders
beklemmenden Szene, als U 96 vor Gibraltar schwer beschädigt auf Grund liegt und
jedermann in Panik vor dem sicher erscheinenden Tod die verzweifelten Versuche des LI
verfolgt, das Boot wieder flott zu bekommen. Wer nun die Original-Fotos sieht, entdeckt
keine Todesangst und nicht einmal besondere Hektik: LI Grade beratschlagt ernst aber
gelassen mit einem seiner Leute anhand der Baupläne die Reparaturmöglichkeiten!
Doch die Entlarvungen Buchheims gehen noch viel weiter, denn es fanden sich auch Belege
über die große, weitgehend vertuschte Rolle, die der von Augenzeugen als arroganter,
polternder Narziss und Rechthaber charakterisierte Propagandasoldat im Nazi-Gefüge
gespielt hat. So zählte er zu den Erfolgreichsten unter den Mitgliedern der nach einer
Idee Hitlers gegründeten Staffel der bildenden Künstler und war als gut
verdienender Elite-Kriegsmaler bis zum Kriegsende ein vermögender Mann geworden.
Seine Nachkriegskarriere nunmehr zum Pazifisten umstilisiert ist
hinlänglich bekannt. Vom Mythos allerdings bleibt nicht viel und Das Boot
erweist sich objektiv gesehen damit nur noch bedingt als Darstellung historischer
Wirklichkeit. Was natürlich ebenso für den unbestritten hervorragenden Film zutrifft.
Fazit: eine detaillierte und ebenso sachliche wie spannende Richtigstellung eines gekonnt
angefertigten Propagandawerkes.
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