SALMAN RUSHDIE: „QUICHOTTE“


Wenn sich ein solch renommierter Bestsellerautor wie Salman Rushdie an ein Thema wie das des Don Quichotte macht, darf man zu Recht erstens etwas Außergewöhnliches erwarten und zweitens, dass der Autor den Klassiker der Weltliteratur nicht einfach nacherzählt.
Unter dem schlichten Titel „Quichotte“ hat der indisch-britische Meister des Magischen Realismus das große Werk über den Ritter von der traurigen Gestalt zu einer übersprudelnden Satire über die Gegenwart insbesondere der USA gemacht. Am Anfang steht Ismael Smile, ein abgetakelter Pharma-Vertreter indischer Herkunft, der zu einem Roadtrip quer durch den Kontinent startet, weil er in obsessiver Liebe zu Salma R. im fernen New York entbrannt ist.
Der alte Zausel ist einerseits nach exzessivem Genuss jedweder Fernseh-Shows nicht mehr ganz bei Sinnen, andererseits fixiert auf Salma R., die wie er aus Indien stammt und als ehemaliger Bollywood-Star mittlerweile zu einer Art Opra Winfrey 2.0 erblüht. Dass ihr gemeinsames Liebesglück – sie ist keine 30 – wahrhaftig werden wird, steht für ihn in Zeiten von „Anything goes“ außer Zweifel.
Der braunhäutige Verehrer der gleichfalls braunhäutigen TV-Schönheit bombardiert sie nun während seiner Fahrt unablässig mit feinsinnigen Liebesbriefen und hat sich dazu eigens ein Pseudonym zugelegt und unterzeichnet stets als „Ihr geistreicher Ehrenmann Quichotte“. Doch der nie verheiratete Alte hat eine zweite Obsession: er wünscht sich einen Sohn und das so intensiv, dass sich dieser alsbald auf dem Beifahrersitz seines betagten Chevy materialisiert. Und es verwundert kaum, dass er den herbeifantasierten Teenager Sancho nennt.
Aber – die Geschichte dieses modernen Quichotte ist nur genau das, Inhalt eines Romans, und den verfasst der bisher ziemlich erfolglose und heruntergekommene Thriller-Autor Sam DuChamp. Auch das übrigens nur ein Pseudonym, denn er stammt ebenfalls aus dem indischen Bombay (heute Mumbai) wie ein gewisser Salman Rushdie. Während Sam das Buch im Buch wilde Blüten treiben lässt, bei denen Quichotte und Sancho abstruse Abenteuer mit alltäglichem Rassismus, mit der grassierenden Opioid-Krise, Cyber-Spionen und schrägen Phänomenen wie einer sprechenden Waffe erleben, schweift er immer wieder auch ab ins eigene Familiendrama.
Da gibt es den Streit mit der wohlsituierten Schwester aber auch die Sehnsucht nach dem entschwundenen Sohn und zugleich entfaltet sich das Alles obendrein als Immigrationsgeschichte in einem großen Land, das von alten weißen Männern in höchsten Ämtern heruntergewirtschaftet wird. Und das alles fasziniert nicht nur mit blühender Fantasie und schwarzgründigem Humor sondern auch mit beißender Kritik an den Zuständen.
„Quichotte – der Einzelgänger auf der Suche nach Liebe, der Versager-Niemand, der sich für fähig hielt, das Herz einer Königin zu erobern.“ So viel sei von dieser auf einem breiten Erzählstrom immer wieder ausufernd und dennoch mit erstaunlicher Sogwirkung dahinmäandernden Geschichte verraten: Quichotte und Salma R. begegnen einander tatsächlich und nicht nur zum Plauschen.
Scharfzüngig, passagenweise urkomisch und zuweilen so absurd, als hätten die Monthy Pythons Salman Rushdie um ein Drehbuch gebeten, lebt „Quichotte“ von einem Erzählstil, der nicht unkonventionell ist aber gleichwohl eine Herausforderung mit dieser geistesverwirrten Fantasiewelt, die der Alte unauflöslich mit der realen vermengt. Fazit: irreal, surreal, tragisch und magisch ein literarisches Meisterwerk und mindestens so verrückt wie der Ur-Quichotte, der bekanntlich vom Lesen zu vieler Liebesromane einen Hau wegbekam.

# Salman Rushdie: Quichotte (aus dem Englischen von Sabine Herting); 461 Seiten; C. Bertelsmann Verlag, München; € 25

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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