STEPHEN KING: DAS
INSTITUT
Wer von Stephen Kings neuem Roman Das Institut Hochspannung erwartet, wird
zunächst einmal gefoppt. Die titelgebende Einrichtung wird nämlich nicht einmal
erwähnt. Dafür liest man die recht belanglos wirkende Geschichte von Tim Jamieson, wie
es ihn in das öde Kaff Dupray an einer Bahnlinie in South Carolina verschlägt.
Jamieson war ein belobigter Polizist in Florida, musste dann aber wegen einer
unglücklichen Verkettung von Ereignissen den Dienst quittieren. Auf dem Weg zu einem Job
in New York bleibt er quasi in inm Südstaatennest, wo jeder jeden kennt, hängen und
verdingt sich als eine unbewaffneter Nachtwächter. Und verschwindet für lange Zeit
gänzlich aus dem Roman.
Stattdessen wird nun die Hauptperson eingeführt, der zwölfjährige Luke Ellis aus
Minneapolis. Seine Eltern konnen es kaum fassen, dass er dem Alter für gleich zwei
Elite-Hochschulen aufgenommen werden soll, um parallel Ingenieurwissenschaften und
Sprachen zu studieren. Er ist global hochbegabt mit unglaublichem Gedächtnis
und doch weder autistisch noch ein Nerd. Ganz nebenher bemerkt er leichte telekinetische
Fähigkeiten an sich.
Die aber sollen nun Auslöser für einen brutalen Bruch sein, denn in der Nacht taucht ein
dubioses Trio auf, ermordet routiniert seine Eltern und entführt den betäubten Luke.
Sachlich und geradezu unterkühlt schildert King diese Vorgänge und behält diesen
nüchternen Erzählduktus bei, als Luke nun in einem Zimmer erwacht, das seinem eigenen
exakt gleicht.
Allerdings hat es kein Fenster und entlang des Flures gibt es jede Menge weiterer Zimmer.
Was er nicht weiß: dies ist das extrem geheime Institut in der Wildnis von Maine, wo man
sich nicht für seinen IQ sondern seine supranatürlichen Talente interessiert. Als erste
Mitinsassin lernt er Kalisha kennen, die leichte telepathische Kräfte hat.
Da er trotz seiner überragenden Intelligenz so schlägt er einen versierten
Schachspieler in vier Zügen völlig unverkrampft und kameradschaftlich ist, wird
Luke schnell freundschaftlich aufgenommen. Und doch zieht das Grauen mit kleinen aber
stetig wachsenden Schritten an, denn über all den Mitteilungen von obskuren Tests und dem
Wissen, dass es nach deren Abschluss vom relativ gemütlichen Vorbau in den Hinterbau
geht, liegt die große Ungewissheit, weshalb sie wirklich hierher gebracht wurden und was
man mit ihnen vorhat.
Gewiss ist nur, dass noch kein Kind oder Jugendlicher von dort zurückgekehrt ist. Und
dass die Tests zu einer gnadenlosen Tortur werden, denn die reichen von Spritzen,
Blutuntersuchungen und Lichtblitzgewittern bis hin zum berüchtigten Waterboarding. MTAs,
Pfleger und Ärzte gehen dabei so unerbittlich vor, wie es ihnen die eiskalte
Institutsleiterin Julia Sigsby vorgibt.
Beim Verpassen seiner Ohrmarke erfährt Luke: Du musst dir klarmachen, dass du hier
bist, um zu dienen. Ohne zu ahnen, was für ein infernalischer Gedanke und ein noch
barbarischerer Missbrauch dahintersteckt, sollen die Zwangsrekrutierten als Soldaten mit
geistigen Waffen in einem nicht erklärten Krieg eingesetzt werden.
Während sich all das immer packender aufschaukelt, weiß der Leser schaudernd, dass es am
Institut nicht nur unüberwindliche Sicherheitseinrichtungen sondern auch ein Krematorium
gibt. Und dennoch: in den Jahrzehnten, seit das Institut besteht, ist man sich der
absoluten Sicherheit ein wenig zu sicher geworden. Obendrein war noch nie ein
Soldat mit solch überragender Intelligenz wie Luke dabei.
Tatsächlich kann er flüchten und jetzt kommt auch Tim Jamieson als höchst wichtiger
Akteur wieder ins Geschehen. Luke hat beweisbare Erkenntnisse über das Institut gewonnen,
die dessen Existenz vernichten würden. Also wird eine ganze Einsatztruppe auf seine
Ergreifung angesetzt. Zugleich aber kommt es im Institut zum Aufruhr der Gefangenen, die
sich in atemberaubender Weise mit ihren übernatürlichen Fähigkeiten zusammenschließen.
Auch für den Leser gibt es bei der explosiven Entfaltung des nun einsetzenden
gigantischen Finales keine Pause mehr. Es sei aber nur noch verraten, dass diese wahrhaft
monströse Geschichte mit Kinderköpfen als tickenden Zeitbomben ganz und gar
ungeheuerliche Dimensionen hat. Fazit: exzellente Figurenzeichnungen, eine hervorragende
Dramaturgie und die schnörkellose Erzählkunst machen Das Institut zu einem
wahren Geniestreich des Meisters, der hier erneut so mit dem Grauen spielt, dass es lange
nachhallt.
|