FREDERICK TAYLOR: DER KRIEG,
DEN KEINER WOLLTE
Frederick Taylor hat sich als ausgewiesener Kenner der deutschen Geschichte und hier
insbesondere der Konflikte mit seiner britischen Heimat einen Namen gemacht. Im Vorfeld
des 80. Jahrestages des Beginns des Zweiten Weltkriegs widmete sich der Fellow der Royal
Historical Society dem Phänomen der allgemeinen Stimmungslage in beiden Ländern.
Der Titel der deutschsprachigen Ausgabe lautet Der Krieg, den keiner
wollte und der ist ähnlich missverständlich bis irreführend wie der Untertitel
Briten und Deutsche: Eine andere Geschichte des Jahres 1939. Es ist
hinlänglich belegt, dass Hitler und seine Clique den Krieg sogar unbedingt wollten und
dass das nicht erst seit 1939 feststand. Zugleich beabsichtigte der renommierte Historiker
Taylor keineswegs, die Geschichte dieses Schicksalsjahres umzuschreiben.
Diese Unzulänglichkeiten des ansonsten exzellenten Sachbuchs sind allerdings dem
deutschen Verlag anzulasten. Tatsächlich hat Taylor die allgemeine Stimmung in den beiden
Völkern untersucht und eines sei vorweg gesagt: eine Kriegsbegeisterung wie 25 Jahre
zuvor bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs hat es auf beiden Seiten nicht einmal ansatzweise
gegeben. Im Übrigen erstreckt sich diese Untersuchung auf den Zeitraum vom September 1938
bis zum Kriegsausbruch im September 1939.
Die Problematik objektiver Fakten löste der Historiker durch die Auswertung umfangreicher
sinnvoller Quellen, die erst in der Zusammenfassung und der Analyse belastbare
Einschätzungen ermöglichten. So nutzt er für den britischen Teil das Mass
Observation Archive wie auch eine Fülle von Zeitungsartikeln. Interviews mit
Zeitzeugen flossen ebenfalls ein.
Die Quellensammlungen auf deutscher Seite überraschen, sind aber ganz und gar
zielführend. Taylor zitiert umfangreich aus dem Deutschen Tagebucharchiv Emmendingen
sowie hinsichtlich von Presseartikeln vor allem die Freiburger Zeitung. Was
keineswegs eine einseitige Medienfestlegung ist, denn aufgrund der längst erfolgten
totalen Gleichschaltung der Presse waren reichsweit sämtlich Artikel sehr weitgehend
identisch.
Spannendste und immer wieder auch entlarvende Quellen waren schließlich die umfangreichen
Stimmungsberichte seitens des Sicherheitsdienstes der Nazis. Die bei entsprechender
wissenschaftlicher Auswertung zumeist sogar besonders tiefe Einblicke in das gaben. Was
Taylor untersuchen wollte: wie waren Stimmung und Haltung in der allgemeinen Bevölkerung
wirklich.
Es wird deutlich, dass auf breiter Ebene der Wunsch nach Krieg herrschte. Der wurde auf
beiden Seiten vom friedenswahrenden Münchner Abkommen Ende September 1938 sogar noch
stark beflügelt. Die Begeisterung für diesen von alliierter Seite teuer erkauften
Friedenspakt schwand auf westlicher Seite allerdings rapide, als Hitler sich im
Frühjahr 1939 brachial die sogenannte Rest-Tschechei einverleibte.
In der deutschen Bevölkerung gab es gleichwohl vor allem auf Grund massiver
propagandistischer Beeinflussung viel Versätnndis für Hitlers Expansionspolitik. Gegen
Krieg an sich blieb jedoch ein allgemeiner Widerwillen: Aber das Gefühl, dass die
Regierung die Dinge im Griff hatte, wurde als tröstlich empfunden.
Als dann im August 1939 die allgemeine Mobilmachung erfolgte und Lebensmittelmarken
eingeführt wurden, nahm die normale deutsche Bevölkerung dies mit Unbehagen
auf. Zur selben Zeit hieß es in britischen Zeitung trotz aller unterschwelligen
Befürchtungen noch zweckoptimistisch: Diese Krise wird kein Krieg.
So vielfältig die zitierten Quellen ein ebenso schillerndes Mosaik ergeben, so
authentisch erscheint doch das umfassende Stimmungsbild jener Vorkriegsmonate, in denen
die wenigsten Menschen wirklich einen Krieg wollten und kaum jemand sich gar dafür
begeisterte. Fazit: ein hervorragendes Ergänzungsbuch zum Thema Zweiter Weltkrieg, ebenso
detailliert und fundeirt wie unterhaltsam geschrieben.
|