DELIA OWENS: DER GESANG DER
FLUSSKREBSE
Seit Monaten beherrscht dieses Buch die amerikanischen Bestsellerlisten und die Prognose
ist wohl kaum gewagt: in der exzellenten Übersetzung von Ulrike Wasel und Klaus
Timmermann dürfte Der Gesang der Flusskrebse auch auf dem deutschsprachigen
Markt einer der großartigsten Romane des Jahres sein.
Dabei ist die Autorin Delia Owens seit Jahrzehnten als Zoologin erfolgreich, forschte
lange in afrikanischen Ländern Elefanten, Löwen und Hyänen und dieses Werk ist nach
zahlreichen Mitarbeiten an Sachbüchern ihr Debütroman. Doch ihre umfassende Kenntnis der
Natur und das Erleben des Schauplatzes in vielen Sommerurlauben in Kindertagen schufen
Voraussetzungen für ein überwältigendes Naturerlebnis, wie man es so faszinierend und
fesselnd ganz selten miterleben darf.
Im Prolog wird ein Toter im Sumpf des Marschlandes an der Küste von North Carolina
gefunden. Dieser Chase Andrews war ein Frauenheld, offen ist aber, ob sein Tod ein Unfall
war. Dann führt das Geschehen zurück ins Jahr 1952, wo Catherine Danielle Clark in einer
schäbigen Hütte in der Sumpflandschaft aufwächst. Von allen nur Kya genannt, muss sie
erleben, dass ihre Mutter sich eines Morgens einfach davonmacht, weil sie die
gewalttätigen Ausbrüche ihres versoffenen Mannes nicht länger aushält.
Nach und nach flüchten jedoch auch ihre vier Geschwister und sie zittert ständig vor dem
nächsten Ausraster des unberechenbaren Vaters. Bis auch der eines Tages verschwindet und
die kaum Siebenjährige sich selbst überlasst. Der Versuch einer Sozialarbeiterin aus dem
nahen Barkley Cove scheitert kläglich, zumal man die nur noch Marschmädchen
genannte Kleine in dem Städtchen als Außenseiterin ablehnt.
So lebt sie isoliert mitten in der Natur, die ihr eine Heimat ist, in der sie jeden Baum,
jeden Wasserweg und vor allem die Tiere auf den Sandbänken, in den Salzwiesen und Buchten
bestens kennenlernt. Was sie können und wissen muss, bringt sie sich selbst bei und ihr
einziger sporadischer Kontakt zu anderen Menschen ist der zu Jumpin' und seiner Frau mit
ihrem Kramladen.
Als Schwarze in den Südstaaten der 50er- und 60er Jahren sind sie Außenseiter wie Kya
und geben ihr zugleich etwas Halt. Bei ihnen kann das Mädchen auch die gesammelten
Muscheln umsetzen in Geld, Lebensmitteln und das wichtige Benzin für das vom Vater
zurückgelassene Boot. Die Passagen von der Stille, der Einsamkeit und dem Alltag inmitten
der Wildnis sind von erhabener Intensität und Schönheit und voller hinreißender
Naturbeschreibungen wie jenen von der für Männchen tödlich endenden Hochzeitsnacht
einer Gottesanbeterin.
In ihre einsame Idylle stößt schließlich der etwa gleichaltrige Tate Walker, der
ebenfalls Muscheln sucht, Vögel beobachtet und Naturforscher werden will. Allmählich
erwächst aus seinen Besuchen eine Freundschaft und er bringt Kya sogar das Schreiben und
Lesen bei. Und es entstehen zarte Gefühle, um so heftiger ist der Schmerz, als Tate sie
plötzlich und ohne Abschied verlässt: er geht fort zur Universität.
Zutiefst verzweifelt und wieder ganz in die Verlassenheit der früheren Jahre
zurückgeworfen, wird sie dann zur leichten Beute des Kleinstadtcasanovas Chase. Den reizt
die geheimnisvolle Außenseiterin, denn die hat sich zu einer wilden Schönheit
entwickelt. Mehr aus Trotz lässt sie sich seine Avancen ein. Doch zaghafte Sehnsüchte
nach einer Art Normalität bis hin zu einer Ehe laufen ins Leere.
Und nachdem er konstant vermeidet, sie seinen Freunden oder gar seinen Eltern
vorzustellen, werden ihre Zweifel dann grausam bestätigt: bei einer ihrer seltenen
Einkaufsfahrten sieht sie ihn mit einer Blondine und entdeckt bald auch noch in der
Zeitung eine Verlobungsanzeige mit eben dieser.
Da nutzt es Tate Walker, dem längst aufgegangen ist, wie sehr er Kya liebt, wenig, als er
nach fünf Jahren als fertiger Biologie zurückkehrt, dass er sie um Verzeihung bitten
will. Kyas Verbitterung ist einfach zu groß und dann wird auch noch der tote Chase
gefunden.
Für die Kleinstädter wie auch für die beiden tumben Sheriffs steht fest: das kann nur
das Marschmädchen gewesen sein, Womit der ohnehin schon intensiv und sehr atmosphärisch
erzählte Roman auch noch in ein spannendes Gerichtsverfahren mündet. Und zu all den
hinreißenden Bildern und Metaphern werden immer wieder wunderbar klare, einfache Gedichte
von Amanda Hamilton eingestreut, die der einzigartigen Heldin Kya stets in besonderen
Situationen in den Sinn kommen.
Fazit: ein großartiges Stück Literatur mit fesselnder Handlung und endloser Faszination
der Natur.
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