GREGOR HENS: MISSOURI
Im Juli 1989 verlässt Karl mit 23 Jahren die Bundesrepublik Deutschland, die ihm ohnehin
nicht wirklich etwas als Heimat bedeutet, um in den USA ein ganz anderes, intensiveres
Leben zu beginnen. Distanziert vom Vater, die Mutter als Teenager durch Selbstmord
verloren, will er sich aus den Prägungen von neun Jahren in einem bischöflichen Internat
befreien.
Missouri hat Gregor Hens seinen neuen Roman überschrieben und der hat
ziemlich offensichtliche autobiografische Züge. Als Hilfslehrer am College in St. Louis
kommt er unter. Zwar mäßig bezahlt für seine Deutschkurse, aber er hatte die USA schon
als 14-Jähriger kurz kennengelernt und ist nun erst einmal zufrieden.
Und die Welt bekommt plötzlich leuchtende Farben, denn in einem seiner Kurse sitzt die
bezaubernde Stella und Ich-Erzähler Karl ist sofort hellauf verliebt. Gleich nach
der ersten gemeinsamen Nacht erlebt er dann außerdem eine Art Mysterium, denn er findet
Stella auf dem Flachdach vorm Schlafzimmerfenster: offenbar einige Zentimeter über dem
Boden schwebend. Eine Levitation im Zustand höchsten Glücks?!
Die große Liebe, die neue Heimat, endlich scheint sich alles für Karl zu fügen. Derweil
schwindet in der alten, ungeliebten Heimat alles Gewohnte, denn im Deutschland der Wende
bleibt inzwischen nichts, wie es war. Auch wenn es ihn wenig berührt, nutzt er doch das
vom Vater für einen Weihnachtsurlaub geschenkte Flugticket. Ein seltsam unwirkliches
Weihnachten 1989, an dem er mit alten Freunden einen Trip in die noch existierende DDR
macht.
Alles bleibt dabei irgendwie flüchtig und für Karl ist es im Wortsinne eine
oberflächliche Begegnung in einem Land, dass ihm nicht viel fremder ist als Köln, wo er
aufwuchs. Um so intensiver genießt er die Rückkehr nach Missouri und zu Stella. Die ihn
jedoch mitnimmt zu ihrer in den malerischen Hügeln lebenden Mutter.
Was zur schicksalhaften Begegnung wird, denn diese ungemein attraktive und noch sehr junge
Janet beginnt ein mysteriöses Spiel. Die undurchsichtige Lyrikerin umgarnt Karl auf
unmissverständlich erotische Weise, was er zu Recht als groteske Versuchung empfindet. Er
entzieht sich den Avancen schließlich und geht mit Stella auf einen Trip quer durch die
Vereinigten Staaten, bei dem sie auch Janets Zwillingsschwester Jenna und deren
Lebenspartnerin besuchen.
Und doch obwohl Karl eine vage Furcht hat, dass sich etwas Katastrophales in seinem
Leben anbahnt kommt es schließlich doch zum Sündenfall mit der skrupellosen Janet
und er kann nur noch alle Liebesträume begraben und verschwinden. Was bleibt, ist ein
unvergänglicher bitter Nachgeschmack, den Gregor Hens mit seiner ebenso knappen wie
eleganten Prosa nie ins Sentimentale oder gar Rührselige abdriften lässt.
Fazit: eine exzellente Liebesgeschichte, die durch die Einbettung in das Erleben von
Heimatflucht und Heimatsuche vor realem Hintergrund eine besondere Dimension bekommt.
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