BERND POLSTER: „WALTER GROPIUS“

 
Walter Gropius (1883-1969) gilt als einer der ganz Großen der modernen Architekturgeschichte, sein Name steht für vor genau 100 Jahren entstandene Bauhaus-Ära und in Berlin ist sogar ein ganzer Stadtteil nach ihm benannt. Ausgerechnet zum 50. Todestag im Juli 2019 bekommt diese noch heute weltweit gerühmte Lichtgestalt der Moderne solch massive Risse, dass der gesamte Mythos um ihn kaum mehr aufrecht zu halten ist.
Der Publizist Bernd Polster hat die Vita des Meisters in geradezu detektivischer Recherche untersucht und der Titel seiner Biografie gibt eine erste Andeutung, wie die Legende entstand: „Walter Gropius. Der Architekt seines Ruhms“. Die Irritationen begannen für den Biografen bereits mit den frühen Jahren Gropius, über die es kaum Aufzeichnungen gab. Was ihm insbesondere deshalb auffiel, weil es ein als allgemeingültig angesehenes, umfassendes biografisches Werk zu Leben und Wirken des Meisters gab.
Die monumentale Biografie von Reginald R. Isaacs galt als das bis dato unangefochtene Porträt des Architektenpapstes. Polsters entdeckte jedoch nicht nur zahlreiche Lücken und Ungereimtheiten darin, es fiel ihm auf, dass Kindheit und Jugend quasi ausgespart waren. Wozu anzumerken ist, dass Isaacs einst durch Gropius zu einer Professur in Harvard kam und dieser auch die Anfänge der über Jahre geschriebenen Biografie direkt mitinitiiert hatte.
Gravierender als dieses offenbar gewollte Aussparen wesentlicher Schilderungen von Herkunft und Werden sind jedoch die nachvollziehbaren Fakten zum jungen Gropius. Da war der selbstbewusste Architekt, der ein Semester lang in München und knapp zwei Jahre lang in Charlottenburg zwar das Fach studierte, das Studium aber ohne jeden Abschluss aufgab. Nachprüfbar war aber ebenso, dass sich der begeisterte Husar und kaisertreue Nationalist nach Kriegsende im Schnellkurs zum aktiven Sozialisten wandelte.
Und es begann eine Karriere, die eigentlich eine unglaubliche Luftnummer war, sich dank der Chuzpe und einer großen Portion Glück aber immer mehr verfestigte bis hin zur kaum umstrittenen Rolle als Guru der Architektur. Redegewandt, attraktiv, ein Organisationstalent und skrupellos im Ausnutzen von Menschen, gründete er ein Architektenbüro, in dem der Partner die Architektur-Arbeit erledigt. Im Bauhaus war er der charismatische Dirigent, der machen ließ, wobei selbst seine vielen Texte und Reden vermutlich weitgehend durch Ehefrau Ilse gefertigt wurde.
Das berühmte Fagus-Werk in Alfeld schuf in Wirklichkeit sein Partner Adolph Meyer, der auch der tatsächliche Urheber der Gropius-Türklinke und des ikonischen Gropius-Zimmers in Dessau war. Und das dortige Bauhaus selbst geht auf einen Entwurf seines Zeichners Carl Fieger zurück. Wie Gropius ohnehin in Kollegenkreisen dafür bekannt war, dass er kein Talent zum Zeichnen hatte. Entsprechend hat Gropius nachweislich auch kaum etwas selbst entworfen oder gar gebaut.
Den wohl weitestgehenden Beleg dafür, dass Gropius in Wirklichkeit mit all seiner Scharlatanerie nur als der titelgebende Architektur seines eigenen Ruhms etwas Konkretes schuf, fand Polster schließlich in einem der größten Architektur-Archive überhaupt im Busch-Reisinger-Museum bestätigt – weil er nämlich nichts fand. Aus all dem jahrelangen angeblichen Schaffen der Bauhaus-Legende und des verehrten Harvard-Professors fand sich keine einzige Zeichnung, die ihm zuzuordnen wäre.
Hatte der von ihm selbst angestiftete Biograf Isaacs schon einen sehr „kreativen Umgang mit der Wahrheit“ walten lassen, erweist sich der so glorreich Porträtierte nach Bernd Polsters Recherchen entlarvte Selbstdarsteller Gropius als ein gerissener Hochstapler, an dessen selbst gezimmertem Glorienschein Zweifel untersagt gewesen waren. Fazit: selten wohl ist der Mythos eines vermeintlich Großen derartig zum Einsturz gebracht worden und das mit einer überaus spannenden Biografie, die dadurch zugleich zu einem veritablen Schelmenroman geworden ist.

# Bernd Polster: Walter Gropius. Der Architekt seines Ruhms; 654 Seiten, div. SW-Abb.; Hanser Verlag, München; € 32

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen.


Kennziffer: Bio 409 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de