GERHARD ROTH: „DIE HÖLLE IST LEER – DIE TEUFEL SIND ALLE HIER“


Venedig ist Gerhard Roths Lieblingsstadt und dort spielt nun auch der zweite Teil seiner Venedig-Trilogie. Nach „Die Irrfahrt des Michael Aldrian“ geht es diesmal in einem ungewöhnlichen literarischen Krimi.
„Die Hölle ist leer – die Teufel sind alle hier“ hat er ihn nicht von Ungefähr mit einem Zitat aus Shakespeares „Der Sturm“ betitelt. Überaus langsam und gelehrt lässt der vielfach preisgekrönte österreichische Autor es zunächst angehen. Da macht sein in der Lagunenstadt lebende Landsmann Erwin Lanz täglich seine Spaziergänge, betrachtet mit sehr eingehenden Schilderungen die Schönheiten der Stadt und sinniert: „Ich versäume mein Leben.“
Der Literaturübersetzer trinkt reichlich, denkt ohne Wehmut zurück an seine Frau, die vor nicht langer Zeit mit dem Flugzeug abstürzte, dabei begleitet von ihrem heimlichen Liebhaber. Lanz war Hobby-Imker, ist ein geradezu süchtiger Büchersammler und müsste als wohlhabender Witwer nicht wirklich englische Klassiker ins Italienische übersetzen. Das Alles erscheint ihm so ereignislos und gleichgültig, dass er ohne viel Melancholie seinen Selbstmord plant.
Ganz nebenher ist er auf seinen jüngsten Spaziergängen mal auf ein angeschwemmtes afrikanisches Flüchtlingsmädchen gestoßen, mal auf eine ebenso attraktive wie rätselhafte Fotografin am Strand. In seiner ans Autistische grenzenden Lethargie vertändelt er zugleich viel Zeit auf der Suche nach einem ihm genehmen Ort für seinen Selbstmord. Und der werte Leser, der mit vielen feinsinnigen Beobachtungen der schönen alten Stadt sowie literarischen Überlegungen auf altmodisch edle Weise dezent unterhalten wird, könnte versucht sein, das Alles unter dem Rubrum „gepflegte Langeweile“ abzutun.
Doch gemach, denn im zweiten Kapitel findet Lanz endlich den passen Ort für den Freitod auf der Insel Torcello. In Stimmung getrunken und die Pistole bereit, muss er jedoch feststellen, dass er zu dieser Stunde nicht der einzige hier mit tödlichen Absichten ist. Er wird Augenzeuge, wie drei Männer einen vierten herbeischleppen und ihn kalt meucheln. Und schon nimmt das Geschehen ungeheuer an Fahrt auf und wird zum rasanten Kriminalroman.
Der lebensmüde Lanz wird von ungeahnter, so noch nie gekannter Lebenslust beflügelt, muss nun allerdings um sein Leben kämpfen, nachdem seine Zeugenschaft entdeckt wurde. Und er ist selbst verblüfft, zu welchen Heldentaten samt der nötigen kriminellen Energie er auf einmal fähig ist. Wenngleich er zuweilen rätselt, ob diese Erlebnisse real sind oder er sich nach einem missglückten Selbstmordversuch lediglich irgendwo zwischen Wirklichkeit und Jenseits hängengeblieben ist.
Da wird dieser ehemals langweilige Eigenbrötler unversehens zum Frauenhelden, er schlägt sich überraschen wacker bei Verfolgungsjagden und sogar bei tödlichen Schusswechseln, als er nun in einen mutmaßlichen Bandenkrieg gerät. Es gibt sogar einen Brandanschlag auf seine Villa und ein ganz übler Killer versucht gleich zweimal ihn umzubringen.
Es knistert weiterhin voller Überraschungen und irgendwie schwebt über allem der große superreiche Strippenzieher Signor Blanc, der gern und skrupellos Schicksal spielt. Nur der Commissario Galli hat wie schon im ersten Band der Trilogie eine undankbare Rolle und auch nicht viel Durchblick. Fazit: wer es stilvoll, ein wenig altmodisch und gelehrt mag und zugleich literarische Spannungsliteratur zu schätzen weiß, findet in diesem Roman einen echten Lesegenuss.

# Gerhard Roth: Die Hölle ist leer – die Teufel sind alle hier; 368 Seiten; S. Fischer Verlag, Frankfurt; € 25

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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