IAN McEWAN: „MASCHINEN WIE ICH“

 
Sind Roboter womöglich die besseren Menschen und welche Folgen könnte das haben? Das ist die zentrale Frage in Ian McEwans jüngstem Geniestreich „Maschinen wie ich“. Zu der ebenso gewitzten wie spannenden Geschichte kommt obendrein die interessante Verortung im kontrafaktisch verdrehten Jahr 1982.
Überall sind selbstfahrende Autos unterwegs, Smartphones sind selbstverständlich und Computer sind längst selbst an höherwertigen Arbeitsplätzen allgegenwärtig. Wie das kommen konnte? Alan Turing (1912-1954) war der Spiritus Rector der Computertechnologie und der Künstlichen Intelligenz, wobei McEwan in souveräner Was-wäre-wenn-Manier den genialen Kryptoanalytiker und Mathematiker eine andere Wahl treffen lässt, als er trotz goßer kriegsentscheidender Verdienste wegen seiner Homosexualität vor Gericht gestellt wurde.
Hier hat er sich gegen die chemische Kastration entschieden, die ihn 1954 in den Selbstmord trieb, und sitzt die alternativ verhängte Haftstrafe ab. Und nutzt die Zeit für die bahnbrechenden theoretischen Arbeiten des so viel früher eintretenden Computer-Zeitalters. Die damit einherlaufende Zeitgeschichte hat der britische Erfolgsautor jedoch ebenfalls teils umgeschrieben.
John F. Kennedy und John Lennon haben ihre Mordanschläge überlebt, Maggie Thatcher wird aus dem Amt gewählt und vom linken Labour-Führer Tony Benn beerbt, der glatt einen Brexit anstrebt – aber ganz ohne sich auf so etwas Heikles wie ein Referendum einzulassen. Für diesen krassen Politikumschwung gibt es natürlich einen Grund: das Vereinigte Königreich hat den Falkland-Krieg unter großen Verlusten schmählich verloren.
Und genau eine Woche vor diesem schmerzlichen Ereignis und gänzlich unabhängig davon hat Charlie Friend etwas reichlich Verrücktes gemacht. Nach dem Tod seiner Mutter hat der etwas ziellose 32-jährige Chaot die geerbten 86.000 Pfund nicht etwa solide sondern in die neueste Erfindung investiert: einen Androiden. 25 der sensationell menschenähnlichen Roboter wurden bisher produziert, 12 Adams und 13 Evas. Da Letztere sofort ausverkauft waren, erwarb Ich-Erzähler einen 85 Kilogramm schweren, gut aussehenden Adam.
Daheim holt er die von ihm heimlich angehimmelte Miranda – die attraktive 22-Jährige wohnt in der Wohnung direkt über ihm – zum Programmieren Adams. Wie Eltern fühlen sie sich dabei und dass sie sich bei diesem digitalen Zeugungsakt näher kommen, entspricht Charlies Wünschen vollends. Adam macht atemberaubende Fortschritte, denn statt zu lernen zapft er das Internet direkt zum Inhalieren von Wissen an. Ob Quantenphysik oder Shakespeares gesammelte Werke – schon bald ist er Charlie in allem überlegen.
Doch er sorgt dabei nicht nur für eine prächtige Konsolidierung von Charlies Börseneinkünften, es erwächst ihm offenbar auch eine Art eigenes Bewusstsein. Woraus sich köstliche Kontroversen zwischen dem Androiden und seinem „Herrn“ ergeben. Und eine Szene voller hinterhältigen Humors, wenn die inzwischen mit Charlie liierte Miranda diesem mit dem auch physisch sehr menschenähnlichen Adam Hörner aufsetzt und der den offenbar bestens gelungenen Akt heimlich mithören muss.
Dieser „Laptop auf zwei Beinen“, wie ihn Charlie später gallig schmäht, entwickelt jedoch auch heikle Seiten, die in der Logik der Sache liegen: den objektivierenden Verstand, der selbst hilfreiche Notlügen ebenso wenig zulässt wie ein Fünfe-Gradesein-Lassen. So beschwört Adam mit seiner systemimmanenten rigorosen Moral schließlich eine private Katastrophe herauf. Er liebt Miranda auf seine Weise und will ein von ihr bisher verschwiegenes unmoralisches Vergehen „bereinigen“.
Maschinen haben eben ihre Grenzen, erklärt dazu in einem großartigen Dialog der angesehen Alan Turing dem geknickten Charlie. Das hochentwickelte moralische Bewusstsein eines Adam sei von den Widersprüchen der unvollkommenen Welt schlichtweg überfordert. Weshalb im Übrigen bereits etliche Androiden Selbstmord begingen oder sich einfach abschalteten.
Fazit: ein grandioses Meisterwerk intelligenter Literatur, höchst aktuell und zugleich sehr unterhaltsam.

# Ian McEwan: Maschinen wie ich (aus dem Englischen von Bernhard Robben); 405 Seiten; Diogenes Verlag, Zürich; € 25

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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