PETER FRANKOPAN: DIE NEUEN
SEIDENSTRAßEN
Über den massiven geopolitischen Wandel unserer Zeit legte Peter Frankopan das überaus
hellsichtige Buch Licht aus dem Osten. Eine neue Geschichte der Welt vor. Nun
hat der britische Professor für Globalgeschichte an der University of Oxford dem, wie er
es selbst nennt, ein Schwesternwerk folgen lassen, das sich dem zukunftsprägenden
Jahrhundertprojekt schlechthin widmet.
Die neuen Seidenstraßen. Gegenwart und Zukunft unserer Welt lautet der Titel.
Der große alte Handelsweg verband den Fernen Osten mit Europa über viele Jahrhunderte
als Lebensader der Welt. Bis der Westen die Welt samt der zentralen Wirtschaftswege mit
seinem Aufstieg seit dem späten Mittelalter neu formierte und ihr seinen Stempel
aufdrückte.
Hier nun breitet der Globalhistoriker die Karten neu aus und zeigt unmissverständlich die
bereits eingesetzte entscheidende Wende gen Osten, denn nach seiner Analyse hat das
asiatische Zeitalter längst begonnen. Der Wiederaufstieg der Seidenstraßen
bedeutet den Beginn einer neuen Epoche, erklärt Frankopan und sieht darin eine Um-
und Rückkehr zu den Verhältnissen, die vor dem Aufstieg des Westens herrschten.
Er sieht einen zentralen Wendepunkt dahin in der Rede des chinesischen Präsidenten Xi
Jiping vom 6. September 2013 im kasachischen Astana zum Anstoß der neuen Seidenstraße.
China ist der erste Nutznutzer dieser Machtverschiebung, doch entlang den neuen Achsen
liegen Dutzende weiterer Staaten, die davon profitieren werden. Zudem befinden sich in
ihrem Einflussbereich als gravierende Beispiele 65 Prozent der weltweiten Erdgasvorkommen,
aber auch die maßgeblichen Anbauflächen für Getreide und Reis.
Und es seien nicht nur Straßen, Eisenbahnlinien, Schifffahrtsrouten und Flughäfen
genannt, die die Schlagadern der Neuen Seidenstraßen bilden. Hinzu kommen
Kommunikationswege sowie Verschiebungen kultureller und gesellschaftspolitischer
Gewichtungen. Wie auch andere Zentren in den Mittelpunkt rücken wie Delhi und Islamabad,
Ankara, Teheran und Riad und Peking und Moskau sowieso.
Den Abstieg der USA sieht Frankopan ebenso zwangsläufig wie das Abseitsdriften Europas,
das zudem in immer größere und folgenreichere Abhängigkeiten der asiatischen Ressourcen
gerate. Das Alles geschehe im Windschatten solcher Multimilliardenprojekte wie Chinas
Belt-and-Road-Initiative in riesigen raumgreifenden Schritten von Fernost bis
in den Mittelmeerraum. Mammutprojekte übrigens, an denen kein westeuropäisches Land
beteiligt ist. Dabei stellt Frankopan nur eine Momentaufnahme der zeitgenössischen
Verhältnisse vor, die allerdings mit einer Art Weitwinkelobjektiv samt messerscharfer
Analyse des politische denkenden Gegenwartshistorikers.
In seinen höchst lebendig und teils geradezu journalistisch dargelegten Erkenntnissen
geht er auch auf die Kritik insbesondere am Gebahren Chinas ein, das eine Wirtschafts- und
Entwicklungspolitik des Abhängigmachens insbesondere in Afrika betreibe. Ohne etwas
beschönigen zu wollen, hält Frankopan dem das jahrhundertelange kolonialistische
Vorgehen des Westens entgegen bis hin zu fatalen Folgen noch vor wenigen Jahrzehnten, wie
das Beispiel des Völkermords in Ruanda zeigt.
Klarer und überschaubarer kann man die erderschütternde Transformation mit ihren
Bedeutungsverlagerungen von West nach Ost bzw. Asien kaum darlegen. Das asiatische
Jahrhundert komme so zwingend wie ein Naturgesetz, ist Frankopan überzeugt. Wobei sich
eine Sorge unumgänglich bewahrheiten wird: Die neue Welt, die vor unseren Augen
entlang der neuen Seidenstraßen entsteht, ist keine freie Welt.
Fazit: eine brillante Darstellung der gegenwärtigen geopolitischen Entwicklung und ganz
gewiss eines der wichtigsten Bücher unserer Tage.
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