VOLKER ULLRICH: „ADOLF HITLER. DIE JAHRE DES UNTERGANGS 1939 - 1945“


Vor sechs Jahren legte Volker Ullrich des ersten Teil seiner große Biografie „Adolf Hitler. Die Jahre des Aufstiegs: 1889-1939“ vor. Sie machte Furore, weil sie auf exzellente Weise die Geschichte des Dritten Reichs unmittelbar mit der Vita Hitlers verknüpfte und dabei auch viele bisher kaum ausgewertete Quellen für ein klares, plastisches Porträt mit einbezog.
Nun liegt der zweite Teil unter dem Titel „Adolf Hitler. Die Jahre des Untergangs 1939 - 1945“ vor, der eingangs den Führer und Reichskanzler zu dessen 50. Geburtstag auf dem Gipfel der Popularität sieht, hat er das Deutsche Reich doch quasi ohne Krieg wieder groß gemacht. Nun aber bekommt er endlich, nach was es ihn ohnehin verlangte: Krieg. Mit größeren und schnelleren Erfolgen als von jedermann erwartet.
Und Hitler schlüpft ab dem 1. September 1939 in die Rolle des Feldherrn, der sich massiv in die Kriegsführung einmischt. Was die Generalität willfährig hinnimmt, zumal die militärischen Erfolge Hitler schnell mit einem Nimbus von Unfehlbarkeit und Unbesiegbarkeit umgeben. Doch der wahre „GröFaZ“ (Größter Führer aller Zeiten) kommt erst zu seiner eigentlichen Bestimmung, als er den Feldzug gegen die Sowjetunion losbricht.
Ullrich verdeutlicht anhand vielfältiger Quellen, dass Hitler von vornherein keinen normalen Krieg im Osten beabsichtigte sondern einen nie dagewesenen Raub- und Vernichtungskrieg. Der dann konsequenterweise mit grenzenlosen Gräueln gegen die als rassisch minderwertig deklamierte Zivilbevölkerung aber auch der bewussten Eliminierung von rund drei Millionen Kriegsgefangenen durch Hunger, Krankheit und auch gezielte Tötungen verbunden war.
Und der als brutaler, hassverzerrter Gewaltmensch agierende Führer setzte neben seiner früh postulierten Forderung zur Eroberung von Lebensraum im Osten nun auch seinen alten Traum von der Endlösung der Judenfrage radikal um. Unmissverständlich belegt Historiker Ullrich, dass es den Holocaust ohne den eliminatorischen Antisemitismus Hitlers nicht gegeben hätte.
Mit Fortschreiten des Kriegs treten denn auch sämtliche autistischen Charakterzüge des chamäleonhaften Schauspielers und Hasardeurs verstärkt zutage: Egozentrik, die Unfähigkeit zur Selbstkritik, die Neigung zu Vabanquespiel und Selbstüberschätzung gepaart mit Menschenverachtung und dem Mangel jeglicher Empathie. Als nun aber im Herbst 1941 selbst Hitler insgeheim klar wird, dass sein Feldzugsplan vor Moskau zu scheitern droht, wird er einerseits erstmals ernsthaft krank.
Zugleich steigert sich andererseits sein Misstrauen gegen jedermann ins Wahnhafte und dies insbesondere gegenüber den Militärführern. Die verfolgt er zunehmend mit Hass und Verachtung und macht sie für jeden Misserfolg verantwortlich. Was sich auch nicht ändert, als er nun selbst den Oberbefehl übernimmt. Längst hat sich der zuvor so präsente und die Massen begeisternde Hitler weitestgehend entweder auf den Obersalzberg oder in sein Hauptquartier zurückgezogen.
Selbst der wendige Propagandaminister Goebbels, engster Vertrauter, der stets das Gehör seines Gönners fand, vermag diese Isolation kaum einmal für Rundfunkansprachen oder gar Filmaufnahmen durchbrechen. Andererseits werden auch die privaten Seiten des Kriegsherren aufschlussreich beleuchtet, in denen der immerhin 400 Tage während des Krieges sogar Privatleben und Gesellschaften genoss.
Ein mit der feschen Eva Braun vor Zeugen händchenhaltender Diktator, zum Aufstehen am späten Vormittag bereits die ersten Aufputschmittel vom allgegenwärtigen Leibarzt Dr. Morell – besonders hier zeigte sich der Verwandlungs- und Verstellungskünstler mit den suggestiven Überredungskünsten. Die er allerdings ebenso als gnadenloser Oberbefehlshaber einsetzte. Oder in Ungnade Gefallene kalt abservierte.
Die eindringlichsten Beurteilungen über Hitlers Denk- und Verhaltensweisen liefern jedoch bisher wenig ausgewertete, quasi inoffizielle Quellen von faszinierender Unmittelbarkeit: heimliche Aufzeichnungen aus dem engsten Vertrautenkreis. So ließ sein Adlatus Martin Bormann bei den Mittags- und Abendtafeln in der „Wolfsschanze“ unauffällig aufzeichnen, was Hitler da oft stundenlang monologisierte. Hinzu kommen heimliche Gedächtnisprotokolle anderer Teilnehmer bei den Teegesprächen in intimer Runde, die immer wieder monströse Gedankengänge Hitlers offenbaren.
Aber auch andere Blicke auf Hitler im Laufe des immer ungünstigeren Kriegsverlaufs sind vielfältig und erhellend einschließend der Lageberichte der SS aus dem Reich sowie Aufzeichnungen von quasi neutralen Zeitgenossen. Wobei schließlich die Passagen um den 20. Juli 1944 von besonders beeindruckender Prägnanz sind. Nicht nur, das Hitler beim Stauffenberg-Attentat deutlich schwerer verletzt wurde, als seinerzeit propagiert, er bricht am 28. September sogar zusammen und bleibt bis zum 11. Oktober bettlägerig.
Zeugenaussagen sind ebenfalls aufschlussreich gegenüber den offiziellen Meldungen des „von der Vorsehung“ geretteten Führers. So vermerkte ein Adjutant am 23. Juli: „Das war nicht mehr der Führer des Großdeutschen Reichs, sondern ein Mann von 55 Jahren mit der Haltung eines Greises, gebeugt, hinkend, den Kopf zwischen die Schultern gezogen...“
Ganz in dem lebendigen Stil, wie man ihn so sonst eher von der angelsächsischen Geschichtsschreibung kennt, führt Volker Ullrich ebenso stringent wie wissenschaftlich distanziert in das abschließende Kapitel, in dem Hitler selbst seinen Untergang noch inszeniert. Mag er auch von rapidem körperlichen Verfall gezeichnet gewesen sein, belegen die Fakten, dass das offenbar nur auf die Physis beschränkt war und der GröFaZ bis zuletzt unbeugsam und für jeden Ratschlag unempfänglich das Heft als Feldherr in der Hand behielt.
Fazit: mit diesem Buch liegt nun die gesamte, fast 2000 Seiten umfassende Biografie über Adolf Hitler vor und sie dürfte in ihrer Qualität an Genauigkeit, Faktenreichtum, zwingenden Analysen und exquisiter Lesbarkeit das Non-plus-Ultra zu diesem Thema sein.

# Volker Ullrich: Adolf Hitler. Die Jahre des Untergangs 1939 – 1945; 893 Seiten, div. SW-Abb.; S. Fischer Verlag, Frankfurt; € 32


WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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