CHRISTIAN BOMMARIUS: „1949“


1949 war vor allem für die Deutschen ein spannendes Jahr, denn am Ende hatten sie eine Demokratie und zwei Staaten. Demokraten allerdings war noch eine Rarität, wogegen der Ungeist des Dritten Reichs in vielen Köpfen und Netzwerken Wiederauferstehung feierte. Sofern er denn überhaupt verschwunden gewesen war nach dem 1945.
Christian Bommarius, Journalist und Heinrich-Mann-Preisträger 2018, durchleuchtet die schwere Geburt des zweiten demokratischen Staates auf deutschem Boden mit seinem Sachbuch „1949“. Wenn dessen Untertitel „Das lange deutsche Jahr“ heißt, hat das gute Gründe, denn die Voraussetzungen für die beiden Staatsgründungen wurden bereits im Sommer 1948 gelegt. Es muss allerdings vorausgeschickt werden, dass die Entstehung der DDR hier deutlich in den Hintergrund rückt gegenüber der Entwicklung der drei Besatzungszonen zur Bundesrepublik Deutschland.
Hier gab es am 20. Juni 1948 die Währungsreform und am 1. Juli desselben Jahres beauftragten die Alliierten die westdeutschen Ministerpräsidenten, auf der Grundlage der von ihnen vorgegebenen Vorstellungen einen neuen deutschen Staat zu bilden. Akzeptiert wurden die Koblenzer Beschlüsse, nach denen es keiner Staatsgründung sondern nur einer Neuorientierung bedürfe (im Gegensatz zur späteren Gründung der DDR als neuem Staat). Es liest sich spannend, wie dann 1949 das Grundgesetz erarbeitet und von den alliierten Militärgouverneuren genehmigt wurde.
Der 23. Mai 1949 wurde damit der Geburtstag der Bundesrepublik und noch im August durfte das Volk den ersten Deutschen Bundestag wählen. Doch Bommarius macht sehr deutlich, dass das Volk nicht zu der neuen Verfassung befragt worden war und – eine mehrheitliche Befürwortung auch ausgesprochen fraglich gewesen wäre. Die westlichen Alliierten hatten „den Westdeutschen die Demokratie befohlen“, die gab es nun zwar auf dem Papier, die Zahl der Demokraten in diesem Staatsgebilde aber war noch erschreckend überschaubar.
Monat für Monat widmet sich der Autor nun lässt Zeitzeugen einschließlich bekennender Alt-Nazis zu Worte kommen und kehrt wahrlich Empörendes zutage mit all den einstigen Nazi-Funktionsträgern, die alsbald wieder die Schaltstellen der Macht und auch der öffentlichen Meinungsbildung zurückeroberten. Die Zahl der Schafspelze, in die ehemalige Akteure des Nazi-Regimes und insbesondere der unheilvollen NS-Justiz nun ungeniert schlüpften, ist aus heutiger Sicht schier unfassbar.
Doch die vielen Beispiele machen deutlich, dass dieser Geist in der Bevölkerung auf wenig nennenswerte Ablehnung stieß. Die Entnazifizierung mit leicht errungenen „Persilscheinen“ wurde als lästiges Übel schnell durchgezogen und Wo Gerichtsurteile tatsächlich NS-Übeltäter trafen, waren sie in der Regel milde und führen zu vielen vorzeitigen Begnadigungen.
Und es war genau genommen ausgerechnet Sowjet-Diktator Stalin, der all den Alt-Nazis den Weg zu neuen Karrieren im bald aufstrebenden Wirtschaftswunderland ebnete, denn ein gut funktionierendes West-Deutschland war den Alliierten in dem bereits 1948 mit der Berlin-Blockade offen ausgebrochenen Kalten Krieg allemal wichtiger. „Der neue Staat war eine Demokratie, aber die überwältigende Mehrheit seiner Einwohner waren keine Demokraten“, zeichnet Christian Bommarius ein durchaus düsteres Bild von diesem langen Jahr 1949, das mit der Verkündung des Amnestiegesetzes für einen ganzen Kanon von Nazi-Straftaten endete.
Fazit: zum 70-Jährigen des Gründungsjahres beider Deutschlands ein ganz wichtiges Erinnerungsbuch, lebendig geschrieben fesselt es ungemein und man mag zuweilen kaum glauben, wie sich aus diesen Anfängen tatsächlich ein ziemlich vorbildlich funktionierender Rechtsstaat entwickeln konnte.

# Christian Bommarius: 1949. Das lange deutsche Jahr; 320 Seiten; Droemer Verlag, München; € 19,99

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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