JEFFREY EUGENIDES: DAS GROßE
EXPERIMENT
Seine erste Sammlung an Erzählungen zeigt eindrücklich, dass Pulitzer-Preisträger
Jeffrey Eugenides auch ein Mister der kurzen Form ist. Benannt ist das Buch nach der
Geschichte Das große Experiment.
Bei der typisch amerikanischen Jagd nach dem Geld fehlt es dem 45-jährigen Kendall nicht
am IQ sondern offensichtlich an den richtigen Durchsetzungsgenen. Und dann läuft ihm die
Galle über, weil seine Kinder wegen der aus Kostengründen heruntergedrehten Heizung
lieber bei Freunden nächtigen, während sein im Luxus schwelgender Chef dem Lektor nicht
mal eine Krankenversicherung bezahlt.
Wie auch andere Charaktere in den Erzählungen versucht Kendall, das Schicksal
eigenhändig zu verändern. Mit wenig Erfolg, zumal er es auf die kriminelle Tour angeht.
Wie auch die indisch-stämmige Prakrti, die mit wenig Skrupel das Leben eines braven
Professors zum Trudeln bringt. Erst verführt sie ihn zu einer flüchtigen Begegnung im
Hotel, dann verschwindet sie.
Allerdings nicht, ohne ihn des Missbrauchs als angeblich Minderjährige anzuschwärzen.
Gemein? Klar, dabei hat sie für sich einen guten Grund, denn ihre Mutter wollte sie an
einen unsympathischen Mann in der indischen Heimat verheiraten. Ohne Jungfräulichkeit hat
sich das Thema nun erübrigt. Ein anderer Familienvater hat sich dagegen die Aussperrung
aus seinem eigenen Haus wegen eines Seitensprungs um so mehr verdient.
Nicht alle Erzählungen, von denen drei jetzt leicht überarbeitete bereits 2003 auf
Deutsch veröffentlicht wurden, haben auch sexuelle Inhalte. Doch Eugenides geht immer
wieder wie schon in seinen großen Romanen gern und sehr gekonnt körperliche Tabuthemen
an. Wobei die mit der Bratenspritze die mit Abstand schrillste ist, wenn da eine
40-Jährige den spät aufgekommenen Kinderwunsch mit einer Befruchtungsparty mit drei
Samenspendern und der Selbstvornahme zur Tat schreitet.
Exzellente Charakterzeichnungen und die hinreißende Unberechenbarkeit der Erzählungen
machen die kleinen Kunstwerke zu einem virtuosen Lesevergnügen.
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