D. B. JOHN: „STERN DES NORDENS“


Der britische Autor D. B. John hat lange in Südkorea gelebt und als einer der wenigen Touristen aus dem Westen auch den abgeschotteten Norden bereist. Gemeinsam mit Hyenseo Lee veröffentlichte er den Bestseller „Schwarze Magnolie. Wie ich aus Nord-Korea entkam.“
Angeregt durch den für Westler unfassbar exaltierten Trauerkult, den Ende 2011 der Tod des „Geliebten Führers“ Kim Il-sung in der gesamten Volksrepublik auslöste, verfasste John nun einen Politthriller, der seinesgleichen sucht. Unter dem Titel „Stern des Nordens“ schreibt er in großer Kenntnis der Verhältnisse in dem despotischen Staat einen schier unglaublichen Roman vor sehr realem Hintergrund.
Es beginnt 1998 mit der Entführung der 18-jährigen Soo-min und ihres Freundes bei einem Strandausflug auf eine südkoreanische Ferieninsel. Es ist eine dieser Entführungen, die über Jahre in Südkorea und Japan passierten und lange für Hirngespinste gehalten wurden. Doch der Roman deckt den monströsen Hintergrund auf, der später sogar seitens der kommunistisches Staatsführung eingeräumt wurde.
Im Rahmen des „Samenkörnerprogramms“ suchte sich das Regime Menschen, die „unkoreanisch“ aussahen. Wie Soo-min, deren Vater ein afro-amerikanischer US-Soldat war. Die perfide Absicht dahinter: wegen ihrer äußeren Erscheinung sind sie besonders als Spione und Saboteure im Ausland geeignet. Zwölf Jahre später aber kommt hier Soo-mins Zwillingsschwester ins Spiel, die seit langem mit ihrer inzwischen verwitweten Mutter in den USA lebt und als Hochbegabte unter dem Namen Dr. Jenna Willimas eine Hochschulkarriere anstrebt.
Sie wird nun von der CIA rekrutiert, denn mit ihren Fähigkeiten und der perfekten Beherrschung der Sprache ist sie geradezu prädestiniert für eine dringende Mission in Nord-Korea. Es geht um das Raketenprogramm Kim Jong-Ils und der Westen weiß nicht, wie weit die mögliche Entwicklung bereits gediehen ist. Für Jenna gibt es allerdings nur einen wirklichen Grund, sich auf den Geheimdienst einzulassen: sie glaubt auch heute noch nicht an den angeblichen Badeunfall ihrer Schwester und sieht in der Mission eine unverhoffte Chance.
Der Roman führt jedoch als zweiten Handlungsstrang in ein Provinzstädtchen an der chinesischen Grenze und dort zu der einfachen Bäuerin Song-ae Moon. Wie so viele Menschen in der von Hunger gequälten Durchschnittsbevölkerung schlägt sie sich mühsam mit kargen Verkäufen auf dem Markt durch. Dazu gehört auch die ständige Gefahr durch Kriminelle, während sie andererseits für ihr Wohlergehen die örtliche Polizisten bestechen muss.
Diese Frau aber lässt sich nicht alles bieten, zumal sie schlimme Erlebnisse in ihren jungen Jahren überstanden hat. So begehrt sie eines Tages auf und wird nach dem Anzetteln eines Aufstandes in das besonders berüchtigte Lager 22 eingesperrt. Während ihr Schicksal aber scheinbar mit Jenna nichts zu tun hat, gibt es einen drittgen Handlungsstrang um den hohen Funktionär Cho Sang-ho.
In dramaturgisch exzellenten Wechseln folgt man Cho zunächst nach New York, wo er als Diplomat einer Delegation angehört, die mit einer Gruppe von US-Amerikanern zusammentrifft, zu der sogar ein Ex-Präsident gehört. Und es ist die erste Begegnung zwischen ihm und Jenna. Hier gibt es Szenen von köstlicher Realsatire, wenn der Kulturschock die Nord-Koreaner aus dem Gleichgewicht bringt, Zugleich wird eine unglaubliche Erkenntnis an einem Beispiel festgemacht: die von massiven Embargos auch wirtschaftlich isolierte Diktatur finanziert sich mit umfangreichen kriminellen Machenschaften wie Drogenhandel und Falschgeld.
Zurückgekehrt nach Pjöngyang jedoch erfährt Cho Bedrohliches von seinem Bruder, der zum engeren Zirkel um den „Geliebten Führer“ gehört. Er soll jetzt auf einen der höchsten Posten überhaupt befördert werden und das ist verbunden mit einer potentiell tödlichen Gefahr: für einen solchen Aufstieg steht unweigerlich die Durchleuchtung auf die makellose Klassenherkunft durch den Bowibu – quasi die Stasi Nord-Koreas – bevor.
Die Brüder sind jedoch Adoptivkinder und sie wissen, dass selbst auf dieser Kader-Ebene niemand vor dem Verbrechen schlechten Blutes geschützt ist. Und der linientreue Cho ahnt Schlimmes: „In seinen Adern floss ein derartig schweres Verbrechen, dass man ihn aus der Gesellschaft eliminieren würde, auch wenn er keine Ahnung hatte, worin dieses Verbrechen bestand.“
Bevor Cho allerdings wie sein Bruder das unvermeidliche Schicksal ereilt, kommt es zu einer erneuten Begegnung mit Jenna, diesmal in Nord-Korea, und sie werden Vertraute. Zur gleichen Zeit erleidet Song-ae Moon noch Schlimmeres, als es die vielen erbärmlichen Lager ihren zehntausenden Gefangenen mit härtester Fronarbeit antun, denn sie gilt ja als „Politische“ und die werden ins riesige Lager 22 gesteckt, wo viele auch als Versuchskaninchen für tödliche Chemiewaffenexperimente herhalten müssen.
Hier nun treffen sich schließlich die Wege der armen Bäuerin und des gefallenen hohen Kaders. Der hat jedoch bereits unfassbare Torturen durch die Verhöre hinter sich, denn die sind blankes absurdes Grauen mit abscheulicher Brutalität. Um dann ins Lager 22 zu geraten, selbst ohne Gaskammern vermutlich schlimmer als ein KZ der Nazis. Aber auf Menschenleben kommt es dem Regime ohznehin nicht an, Denunziation herrscht allenthalben und genau besehen schwebt jeder Nord-Koreaner grundsätzlich tagtäglich in Lebensgefahr.
Doch der Autor durchleuchtet nicht nur und prangert nicht einfach an. Er hat dafür einen grandiosen Politthriller aufgezogen, der schließlich die drei Handlungsstränge gekonnt zu einem atemberaubenden Finale zusammenführt. Der ganze Horror steckt vor allem in dem Wissen, wie authentisch vermutlich sämtliche der hier geschilderten Zustände und Vorgänge sind.
Darauf geht D. B. John dann auch noch in einem Anhang mit einem Essay über seine Reise durch Nord-Korea sowie einigen Bildern und einem Glossar näher ein. Fazit: gerade wegen seiner Realitätsnähe dürfte das der wohl beste Hochspannungsroman des Jahres sein. Allerdings wahrlich nichts für Zartbesaitete.

 

# D. B. John: Stern des Nordens (aus dem Englischen von Karen Witthuhn und Sabine Längsfeld); 559 Seiten; Wunderlich Verlag, Reinbek; € 24*
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

*)Der Verlag bietet im Übrigen auch eine preiswerte Alternative in Klappenbroschur und ohne den aufschlussreichen Anhang für 16,99 Euro an

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