SARA NOVIC: „DAS ECHO DER BÄUME“


Sommer 1991, Ana ist gerade zehn Jahre alt geworden, als der jugoslawische Bürgerkrieg seine ersten bedrohlichen Nachrichten nach Zagreb schickt. Ohne anfangs recht begreifen zu können, was sich da zusammenbraut, genießt sie noch immer ihre gewohnte behagliche Welt, zu der neben ihren liebevollen Eltern auch ihr Freund Luca gehört.
Bewusst ist ihr nur die eine große Sorge um die kleine Schwester Rahela, denn das Kleinkind ist schwer nierenkrank. Der erste düstere Ausläufer des ausgebrochenen Krieges wirkt einfach nur verwirrend auf Ana, als sie für den Vater Zigaretten kaufen soll und der Mann im Kiosk sie barsch fragt: „Serbische oder kroatische?“ Eine Frage, die bald schon vieltausendfach über Leben und Tod entscheiden wird.
Schon diese Schilderungen aus der Sicht eines Kindes lassen frösteln in Sara Novic' Debütroman „Das Echo der Bäume“. Doch bald schon führt die US-Autorin mit den kroatischen Wurzeln in eine Szenerie voller Schrecken, von der Ana anfangs naiv feststellt: „Als Begleiterscheinung der modernen Kriegsführung hatten wir das besondere Privileg, uns die Zerstörung unseres Landes im Fernsehen anschauen zu können.“
Immer heikler wird die Situation auch in Zagreb und die Eltern beschließen wegen der sich rapide verschlechternden Gesundheitsversorgung, Rahela über eine Hilfsorganisation in die USA zu schicken und dort wegen der lebensnotwendigen Operation in eine Pflegefamilie zu geben. Für die Eltern und Ana aber schlägt das Schicksal aufs grausamste zu, als sie auf der Rückfahrt von Sarajewo in die Straßensperre alkoholisierter serbischer Soldaten geraten.
Wie Vieh werden sie mit weiteren kroatischen Gefangenen gefesselt und in einen Wald zu einer Grube geführt. In einer Szene, die durch Mark und Bein geht – gerade auch weil vielfach belegt ist, wie authentisch diese Vorgänge sind – rettet der Vater Ana geistesgegenwärtig durch einen „Trick“, den er ihr eindringlich einimpft, bevor er wie alle anderen per Genickschuss exekutiert wird. Ana überlebt tatsächlich inmitten des entsetzlichen offenen Massengrabes und schleppt sich davon.
Das Geschehen springt nun zehn Jahre weiter – in die heile Welt der USA, wo Ana wie Rahela von den Pflegeeltern adoptiert wird. Niemand außer ihnen weiß von Anas furchtbarer Vergangenheit, doch im Gegensatz zu Rahela, die als typisch unbeschwerte Amerikanerin aufgewachsen ist, schleppt Ana ihre Traumata mit sich herum.
Mit 20 weiß sie unentrinnbar, dass sie sich den Geistern ihrer Vergangenheit stellen muss, und das geht nur in ihrer alten Heimat. Womit die Schilderungen den packenden Ernst des ersten „kroatischen“ Teils wiederaufnehmen. Und Ana erinnert sich an ihren Weg durch das vom erbarmungslos grausamen Bürgerkrieg zerrissene Land, in dem aus dem unschuldigen Kind sogar vorübergehend unter dem Zwang der Verhältnisse eine Kindersoldatin mit Kalaschnikow wird.
Fazit: ein ebenso wichtiges wie schwer zu ertragendes Buch, exzellent aber eben auch schonungslos offen geschrieben.

# Sara Novic: Das Echo der Bäume (aus dem Amerikanischen von Judith Schwaab); 317 Seiten; btb Verlag, München; € 22

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS) 

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