CHRISTINA BAKER KLINE: DIE
FARBEN DES HIMMELS
Am 12. Juli 1939 feierte der bereits erfolgreiche Maler Andrew Wyeth seinen 22.
Geburtstag. Er begleitete an diesem Tag seine Freundin und spätere Ehefrau Betsy zu deren
Bekannte Christina, die im abgeschiedenen Olson-Farmhaus in Cushing/Maine lebte.
Es sollte eine prägende Begegnung werden, denn der eigenbrötlerische Künstler und die
schwerbehinderte Christina zu diesem Zeitpunkt bereits 46 Jahre alt -
verstanden sich sogleich auf besondere Weise. Und diese Frau verewigte Wyeth 1948 mit dem
Bild Christina's World, einem der berühmtesten Gemälde der amerikanischen
Kunstwelt. Das Werk, das heute im Museum of Modern Art in New York hängt, zeigt eine
junge Frau in einem rosafarbenen Kleid von hinten, die scheinbar sehnsuchtsvoll und mit
seltsam verdrehtem Körper auf verwitterte Farmgebäude in der Nahe schaut.
Dieses ikonische Gemälde nahm Christina Baker Kline nun zur Grundlage ihres neuen und wie
beim Zug der Waisen (2013) nonfiktiven Romans Die Farben des
Himmels. Darin lässt sie Christina Olson ihr Leben erzählen, biografisch und stets
ganz nah an den realen Fakten. Die wurde in sehr bescheidene Verhältnisse geboren und
früh zeigte sich eine fortschreitende Muskeldistrophie, die zu einer Deformation ihrer
Beine führte. Nach einem frühen Horrorerlebnis bei einem Arzt verweigerte sie für den
Rest ihres Lebens jede Behandlung und selbst den Gebrauch eines Rollstuhls.
Einfühlsam, jedoch ohne jede Rührseligkeit beschreibt die Autorin das Leben Christinas,
die Mitleid nicht will und es sich auch selbst nicht entgegenbringt, wie ihr ohnehin schon
unerfreuliches Dasein noch bitterer wird, als die Eltern sie mit zwölf von der Schule
nehmen, damit sie sich trotz ihrer schmerzhaften Beeinträchtigung im Haushalt nützlich
macht. Und sie plagt sich in einem Haus, das selbst in den 40er Jahren noch keine
Elektrizität und kein fließendes Wasser hatte.
Die Autorin springt zuweilen aber auch in die Vergangenheit der Familie, zu deren
Vorfahren unter anderem John Hawthorne zählte, der berüchtigte Hexenrichter von Salem.
Und dann scheint sich für die trotz allem bis zur Sturheit willenstarke Christina doch
ein wenig Lebensglück zu eröffnen, als sie eben 20 ist. Da taucht der Harvard-Student
Walton auf und in den vier Sommern, in denen er auf scheue Weise ihre Nähe sucht, hofft
sie immer inniger auf ein Leben zu zweit mit ihm und in der Großstadt Boston.
Groß ist dann die Verbitterung, als er seine Besuche beendet, weil er als angehender
Akademiker eine andere Frau als eine behinderte ohne Bildung und von einer kleinen Farm
braucht. Um so wichtiger wird ab 1939 die so innige Seelenverwandtschaft mit Andrew Wyeth.
Auf ihre Weise sind es beglückende Zeiten, wenn der Maler im Sommer das Atelier im
Obergeschoss des Olson-Hauses bezieht, dort seine legendären Ei-Temperafarben mischt und
viele seiner bekanntesten Gemälde hier malt.
Über mehr als 30 Jahre bleibt Christina Olson seine Muse und er muss mit ansehen, wie
ihre qualvolle Gebrechlichkeit fortschreitet und sie sich schließlich nur noch kriechend
fortbewegen kann. Und dennoch: trotz all dieser Bitternis ist diese Lebensschilderung
keine gallige Anklage ans Leben sondern das fesselnde Schicksal einer starken, sensiblen
und stolzen Frau. Nach dem Maler Andrew Wyeth mit seinem ebenso schlichten wie grandiosen
Gemälde hat ihr nun die Schriftstellerin Christina Baker Kline mit ihrer gradlinigen
Prosa eine großartige Hommage zukommen lassen.
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