DOUGLAS A. HOWARD: DAS
OSMANISCHE REICH. 1300 - 1924
Als im 13. Jahrhundert nomadische Völker in den Nordwesten Vorderasiens einströmten,
begründete deren Anführer als Sultan Osman I. eine Dynastie, die über 600 Jahre Bestand
haben und sich zu einem riesigen Reich ausdehnen sollte. Es waren kriegerische Eroberer,
doch ihr dauerhafter Erfolg beruhte ganz wesentlich darauf, dass sie zwar immer neue
Kulturvölker in ihr Imperium eingliederten, ihnen jedoch ihre Identität beließen.
Die lange und sehr bewegte Geschichte hat nun Douglas A. Howard, Professor für Geschichte
am Calvin College in Grand Rapids, Michigan, mit einem bewundernswerten Sachbuch
zusammengefasst. Der Titel lautete Das Osmanische Reich. 1300 - 1924 und der
Historiker hat hier nicht nur den großen Fundus der einschlägigen Quellen ausgewertet.
Zum Einen gibt es dank der schon früh vorgenommenen Volkszählungen zum Zwecke der
Steuererfassung reiches, fundiertes Datenmaterial zur Bevölkerungsstruktur. Andererseits
widmet sich Howard neben den rein geopolitischen Fakten gerade auch den anderen Aspekten,
die einen Staat und sein Volk oder eben seine Völker ausmachen. So fließen
in sämtliche beschriebenen Epochen auch wesentliche soziale, ökonomische und
geistig-kulturelle Entwicklungen mit ein.
Das Osmanische Reich war ein Vielvölkerstaat, in dem viele Sprachen gesprochen wurden,
doch auch die Religionen waren vielfältig. Zugleich darf nicht übersehen werden, dass
die am längsten herrschende Dynastie der Weltgeschichte eine muslimische und ihre
Weltsicht ganz und gar am Islam orientiert war. Gleichwohl herrschte eine weitgehende
Toleranz gegenüber den großen anderen Religionsgruppen, denen über Jahrhunderte sogar
die Mehrheit der Bevölkerung angehörte.
Ohnehin aber wirkte die liberale Handhabung der Koexistenz aller im Reich als einer der
Erfolgsgaranten der Sultane, denn erst sie ermöglichte die Blüte von Handel, Kultur und
Architektur. Der Historiker belegt für viele Ebenen des Leben im Osmanischen Reich sogar
eine regelrechte Laissez-Faire-Haltung gegenüber den Untertanen, wenn diese
nur ihre Steuern zahlten und ihren Militärdienst leisteten.
Howard beleuchtet auch bedeutsame Ereignisse in den verschiedenen Regionen des Imperiums,
das zeitweise in Europa mehr als nur den gesamten Balkan umschloss, große Teile
Nordafrikas, den heutigen Nahen Osten sowie die Arabische Halbinsel und den Irak. Der
Aufstieg wird erklärt, noch genauer aber jene bis in die Gegenwart nachwirkende
Entwicklung des Reichs bis zum sogenannten kranken Mann am Bosporus und dem
Zerbrechen in der Folge des Ersten Weltkriegs.
Auf Grund der Fülle der teils recht komplexen Aspekte und Zusammenhänge setzt dieses
hervorragende Werk einiges an Kenntnissen über die Geschichte des Osmanischen Reichs
voraus. Andererseits bietet es auch für den interessierten Laien eine wohl einmalig
umfassende Gesamtsicht auf einen über Jahrhunderte und bis in die Neuzeit relevanten
Mitspieler der Weltgeschichte.
Fazit: von höchster Vielfalt und ungeheurem Faktenreichtum aus dem spannenden Blickwinkel
der Binnensicht des Reiches und damit nicht weniger als ein Standardwerk zum gerade jetzt
wieder aktuellen Thema.
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