SANA KRASIKOV: DIE
HEIMKEHRER
Man schreibt das Jahr 1956 und es herrscht politisches Tauwetter in der Sowjetunion, als
der 13-jährige Julian seine Mutter nach sieben Jahren Lagerhaft auf dem Bahnhof
wiedersieht. Er hatte die Zeit im Elend eines typischen Kinderheims jener Zeit verbracht.
Das ist jedoch nur der Prolog zu dem großen Generationen-Epos Die Heimkehrer
von US-Autorin Sana Krasikov. Wie ihr Name schon ahnen lässt, wurde sie selbst in der
Sowjetunion geboren und wanderte erst als Neunjährige 1988 mit ihren Eltern nach Amerika
ein. Im Gegensatz zu Florence Fein, der zentralen Romanfigur, die Anfang der 30er Jahre
genau den umgekehrten Weg geht.
Aufgewachsen in einer jüdischen Familie in New York, hatte sie Mathematik studiert, nach
der großen Depression um 1930 jedoch mit Mühe nur eine Anstellung in der
Handelsvertretung der damals noch nicht von den USA als Staat anerkannten UdSSR erhalten.
Als sie sich dort in den schönen Sergej verliebt, schäumt ihre Abneigung gegen den
Zustand ihres kapitalistischen Landes über.
Intelligent aber politisch schlichtweg naiv, wird sie zwar auch später nie zur
Kommunistin, geht aber nicht nur Sergej sondern auch ihrem Traum vom Leben in der neuen
Gesellschaft nach, in der alle gleichberechtigt leben. Die Ernüchterung kommt schnell,
als sie dort ankommt und mit der allgemeinen Mangelwirtschaft samt Wohnungselend
konfrontiert wird.
Dabei wollte sie doch nichts sehnlicher als völlig aufgehen in jenen gewaltigen
Abstraktionen namens Volk. Stattdessen rät ihr Sergej, den sie noch einmal
wiedersieht, das Land umgehend wieder zu verlassen. Der Rat kommt jedoch zu spät, denn
man hat der Mitarbeiterin in der Staatsbank bereits den Pass abgenommen, nachdem die USA
ihre derartig emigrierten Staatsbürger aufgegeben hatte.
Andererseits hat sie inzwischen Leon Brink kennengelernt, jüdischer Amerikaner wie sie.
Und sie erlebt das allgegenwärtige Misstrauen jener Stalin-Ära und weiß, wie berechtigt
das ist: auch sie wurde schon bald in die Spitzeldienste des NKWD gepresst. Als das Paar
dann auch noch heimlich samt dem inzwischen geborene Sohn Julian das Land verlassen will,
schlägt die Staatsmacht gnadenlos zu.
Von Leon Brink hört man nie wieder etwas, Florence aber wird wegen Spionagetätigkeit zu
sieben Jahre Lagerhaft verurteilt. Ihr landesverräterisches Delikt: das Lesen westlicher
Zeitungen. All das wird jedoch nicht gradlinig geschildert sondern in Sprüngen zwischen
1956 und 1934 wie auch in die Gegenwart des Jahres 2008. Dabei kommen Sohn Julian und
Enkel Lenny ebenfalls zu Wort.
Julian hatte das Glück, dass ihn seine Eltern bei der Geburt als jüdisch-amerikanisch
anmeldeten. Als er dann später von der Universität abgelehnt wurde, weil die Juden-Quote
bereits ausgeschöpft war, emigrierte er in die USA. Erst als alte Frau folgte ihm seine
Mutter. Was er bis zuletzt nicht verstehen konnte, war ihre beharrliche Weigerung, sich
negativ über all das Schlechte auszulassen, das ihr die Wahlheimat beschert hatte. Oder
ihre fatale Selbsttäuschung einzugestehen.
Was Julian keine Ruhe lässt und so nutzt er berufliche Möglichkeiten als Designer für
Eisbrecher für die Ölexploration zu einer Dienstreise nach Russland. Er will auch seinen
Sohn Lenny heimholen, der dort geblieben ist und wenig erfolgreich versucht, in den
verrückten Aufbruchzeiten unter Boris Jelzin auf die schräge Tour sein Glück zu machen.
Am wichtigsten aber sind Julian die Unterlagen über seine Mutter, die er jetzt in den
Archiven des KGB einsehen kann. Und er erfährt von ihrer erzwungenen Spitzeltätigkeit,
was es zugleich noch schwerer verständlich macht, warum sie nie wirklich ihren einstigen
fatalen Schritt oder zumindest das daraus folgende Schicksal in Frage gestellt hat. Julian
ist sich allerdings gewiss: Sie hat einmal gewusst, das behaupte ich bis heute, wie
Freiheit schmeckt.
Das Alles ist ebenso authentisch wie überzeugend geschrieben und die Autorin springt
mühelos und souverän zwischen den Handlungsebenen hin und her. Man muss sich einlesen in
dieses gewaltige Epos, doch bald fesselt es ganz ungemein. Und wen diese Konstellation an
Boris Pasternaks Dr. Shiwago erinnert Vergleiche sind tatsächlich
angemessen, denn Die Heimkehrer ist mit seinen Protagonisten und ihrem Kampf
mit all den Absurditäten des Lebens im Totalitarismus ein ähnlich großartiges Stück
Weltliteratur geworden.
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