NEAL SHUSTERMAN: „SCYTHE – DER ZORN DER GERECHTEN“

 
„Scythe – Die Hüter des Todes“, der Auftakt zu Neal Shustermans neuer Trilogie, endete mit einem starken Cliffhanger. Nun liegt Band II vor und er trägt den Titel „Scythe – Der Zorn der Gerechten“. Eines sei dazu schon vorweg gesagt: die oft anzutreffende Hängepartie eines Zwischenbandes gibt es hier nicht, im Gegenteil.
Zehn Monate sind inzwischen vergangen und Citra hat ihre Ausbildung zur Scythe (= Sense, Sensenmann) ebenso absolviert wie Rowan. Sie aber mit Erfolg und der Ordination als Scythe Anastasia. Rowan blieb nur die Flucht, um nicht . Den Regeln gemäß – ihr erstes Opfer des „Nachlesens“ zu werden. Es ist ja die ehrwürdige Aufgabe der Scythes, durch ihre Quote an Menschen, die sie nachlesen, also dem endgültigen Tod zuführen, eine Überbevölkerung zu verhindern, nachdem das „normale“ Sterben“ durch Krankheiten oder Verletzungen überwunden wurde.
Hunger, Elend, Kriege, all das ist Vergangenheit und wer sich zu alt fühlt, kann sich „resetten“ lassen. Für diese quasi paradiesischen Verhältnisse sorgt keine Regierung mehr sondern der allmächtige Datenpool „Thunderhead“. Diese höchste Instanz an Wissen, Rationalität, Moral und Ethik sorgt für all das. Einzig das Scythetum mit seiner Macht über Leben und Tod hat Thunderhead in seinen ehernen Statuten davon getrennt. Die Scythes sind nur ihren eigenen Regeln unterworfen, doch sie gelten als ebenso gefürchtete wie verehrte Heilige, die ihre Zielpersonen nach eigenem Gutdünken aussuchen.
So nun auch Scythe Anastasia, die dem Nachlesen eine so noch nicht gekannte Empathie beifügt. Was altgediente Scythes jedoch teils mit Argwohn und Ablehnung beobachten, denn nicht alle der furchterregenden Todesboten pflegen die hohen Prinzipien ihres Amtes. Allen voran als finsteres Beispiel für selbstherrliche und barbarische Orgien des Nachlesens Taten, wie sie der gnadenlose Scythe Goddard in Band I verübte.
Derartigen blutrünstigen Scythes jagt nun insgeheim Rowan als eine Art Rebell unter dem Namen Scythe Luzifer nach. Seine Bestrafungen sind furchtbar, denn er verbrennt solche Mörder in Scythe-Robe nicht nur, er verstreut außerdem ihre Asche, damit ein Resetten absolut unmöglich wird. Doch nicht nur das sorgt für Aufruhr bei etlichen Scythes, die den alten Regeln und ihrer gewohnten Selbstherrlichkeit nachhängen.
Misstrauisch müssen sie erfahren, dass Scythe Anastasias Nachlesen voller Mitgefühl zu großer Anerkennung und womöglich ihrem Aufstieg an die Spitze der Hierarchie führt. Während Rowan/Luzifer zur Legende wird als Rächer gegenüber korrupten Scythes, macht sich der Thunderhead immer mehr Sorgen über drohende Fehler im heilsbringenden System. War das wohltätige Supergehirn bisher noch recht diffus erschienen, meldet es sich nun auf immer faszinierendere Weise mit eigenen Einschüben zu Worte und erweist sich als weise und charaktervoll.
Und ist vielleicht doch nicht ganz so hilflos in seinen eigenen unumstößlichen Gesetzen gefangen, die die strikte Trennung von Thunderhead und Scythetum festgeschrieben haben. Dafür bedient es sich eines neuen Protagonisten: Greyson Tolliver, der im Übrigen eine Prise Humor in die ansonsten düstere Dystopie einbringt. Greyson erlebte daheim Ablehnung und Einsamkeit, um so mehr verehrt er die hohe moralische Instanz des Thunderhead.
Als er nun sogar von Attentatsplänen auf Scythe Anastasia hört, wird er zum perfekten Werkzeug der hohen Künstlichen Intelligenz gegen die Missstände, die zunemend das Wohl des gesamten Systems bedrohen. Und das Alles reißt unweigerlich mit, denn das Geschehen ist spannend und voller Wendungen und Überraschungen. Zugleich bringen die durchweg brillant gezeichneten Charaktere wie auch manch komplexe Fragen von Moral, Ethik und dem Sinn des Lebens in einer Welt quasi ohne Tod viel Tiefe in diesen düster-meisterhaften Roman. Den man auch wegen mancher explizit harten Szenen allerdings erst ab 16 Jahre empfehlen kann.
Die Fortsetzung endet mit einem solch atemberaubenden Cliffhanger, dass man höchst ungeduldig auf Band III (für Sommer 2019 angesagt) warten wird. Eine gute Nachricht noch nebenher: die Filmrechte für „Scythe“ wurden bereits verkauft!

# Neal Shusterman: Scythe – Der Zorn der Gerechten (Aus dem Amerikanischen von Kristin Lutze und Pauline Kurbasik); 543 Seiten; Sauerländer Verlag, Frankfurt;
€ 19,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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