RANA AHMAD: „FRAUEN DÜRFEN HIER NICHT TRÄUMEN“


Rana Ahmad heißt nicht wirklich so. Ihren richtigen Namen jedoch darf die 32-Jährige ebenso wenig verraten wie ihre heutige Adresse in Deutschland. Rana ist 2015 auf ähnlich strapaziöse Weise hierher geflohen wie hunderttausende ihrer syrischen Landsleute, aber – nicht wegen des Krieges oder aus wirtschaftlichen Gründen.
Die intelligente junge Frau hat vielmehr eine Todsünde begangen: in Saudi-Arabien lebend wagte sie es, zur Atheistin zu werden. Wie es dazu kam und wie es ihr gelang, der rigorosen Religionspolizei im konservativsten Land der Welt zu entkommen, schildert sie nun in Zusammenarbeit mit Sarah Borufka in ihrem Bericht „Frauen dürfen hier nicht träumen“ und im Untertitel sagt sie trotzig: „Mein Ausbruch aus Saudi-Arabien, mein Weg in die Freiheit.“
Ihre aus Syrien stammende Familie lebte schon lange in Riad, wo Ranas Vater ein gut verdienender Bauleiter ist. Wohlbehütet in guten Verhältnissen wächst sie auf und lernt in der Mädchenschule ganz viel von der Religion. Wozu auch gehörte, dass man Christen und Juden zu hassen hat. Erst viel später lernt sie heimlich solch gefährliche Dinge wie die Evolutionstheorie kennen.
Schon ganz früh hat allerdings sie erste Zweifel an den strikt befolgten Regeln der streng religiösen Familie: „Ich begreife nie so recht, warum wir beten. Ich erledige das Ritual wie das Zähneputzen.“ Doch bereits mit zehn folgt die erste Verschleierung und mit 13 die große Verhüllung, deren Akt detailliert beschrieben wird. Sie steht nun unter der allumfassenden Kontrolle sämtlicher Frauen im Lande, die nicht allein auf die Straße gehen, Fahrrad oder Auto fahren oder darüber entscheiden dürfen, ob sie arbeiten oder studieren.
Quasi als Nebenaspekt der blinden Religionsbefolgung wird hier ein schizophrener Aspekt des glaubensstrengen Lebens entlarvt: im Ramadan sind selbst bei 50° tagsüber kein Essen und Trinken erlaubt – bei Verstößen drohen dem Sünder Auspeitschen oder Haft. Nach dem Gebet in der Dämmerung jedoch durchbricht das große Schlemmen mit den feinsten Speisen das für vier Wochen vorgeschriebene Fasten.
Rana kann ihren Horizont nach einer gescheiterten Ehe noch mehr erweitern und erfährt heimlich durchs Internet von Darwin, Nietzsche und Voltaire. Und fühlt sich in ihren Zweifeln am Islam endgültig bestätigt, als sie durch Twitter auf die Plattform „Arab Atheist“ stößt. Und schockiert erstmals vom Atheismus hört.
Als ihr verbotenes Tun in der Familie auffliegt, erleidet sie schwere Züchtigungen durch den fanatischen Bruder und begeht sogar einen Selbstmordversuch. Zugleich wird es ihr zur Gewissheit: sie glaubt nicht mehr an Gott. Was für Muslime eine mit dem Tode bedrohte Sünde ist. Also muss sie fliehen und das bald, denn wegen der Sommerurlaube der Familie in Syrien hat sie zwar einen Reisepass, der aber läuft Ende 2015 ab.
Ihre Flucht wird ein heikles Abenteuer und nach dem geglückten Schritt in die Türkei geht es für sie auf den gefahrvollen Weg mit all den „normalen“ Bürgerkriegsflüchtlingen. Inzwischen lebt sie in cognito in Deutschland, hat nach langer Pause sporadischen Kontakt zu ihrem Vater und strebt ein naturwissenschaftliches Studium an. Um sich etwas zu erfüllen, das daheim so unmöglich ist und hier so selbstverständlich erscheint: den Wunsch, das Leben einer selbstbestimmten Frau zu führen. Fazit: ein hochspannender Tatsachenbericht, der immer wieder fassungslos mit dem Kopf schütteln lässt.

# Rana Ahmad: Frauen dürfen hier nicht träumen. Mein Ausbruch aus Saudi-Arabien, mein Weg in die Freiheit; 317 Seiten, Klappenbroschur; btb Verlag, München; € 16

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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