PHILIP KERR: KALTER
FRIEDEN
Bernie Gunther ist frustriert und so deprimiert, dass er sogar an Selbstmord dachte.
Eigentlich könnte er sich als Concierge eines Luxushotels an der Côte d'Azur
wohlfühlen, doch eben hat ihn seine dritte Ehefrau verlassen und er geht auf die 60 zu.
In dieser Stimmung beginnt der kürzlich so überraschend verstorbene Philip Kerr seinen
11. Bernie-Gunther-Fall unter dem Titel Kalter Frieden. Für eine Aufhellung
sorgt allerdings bald die attraktive Engländerin Anne French, die ein besonderes Anliegen
hat. Sie will vom erfahrenen Bridge-Spieler Walter Wolf unter dieser falschen
Identität lebt Gunther hier nach seinen wilden Agentenzeiten inzwischen in das
königliche Spiel eingeweiht werden.
Auf diesem Wege will sie an William Somerset Maugham herankommen, den mittlerweile
82-jährigen Bestseller-Autoren, der in der Nähe abgeschirmt in einer mondänen Villa
lebt. Anne will angeblich eine Biografie über ihn schreiben, weiß aber, dass der Alte
seine Tage nur noch mit Bridge auf hohem Niveau verbringt. So sehr Gunther die
Lehrstunden mit der verführerischen Anne auch genießt, vergällt ihm ein ein
neuer Hotelgast die Laune.
Diesen Herrn kennt er seit seinen Berliner Tagen als Kriminalkommissar: Harold Hennig, ein
eiskalter Karrierist beim Reichssicherheitshauptamt an der Seite von SS-Chef Reinhard
Heydrich. Hier springt der Roman in das Jahr 1938 zurück und zu Hennigs Mitwirkung an der
Blomberg-Affäre, mit der Hitler den missliebigen Kriegsminister General von Blomberg und
den Heereschef General von Fritsch durch abgefeimte Intrigen abservieren ließ.
Der brodelnde Hass auf dieses Scheusal kochte allerdings erst später vollends auf und
dazu entführt der Autor den Leser in den Januar 1945 und zum Untergang des
Flüchtlingsschiffes Wilhelm Gustloff. Als das torpediert wurde, starben in
der größten Schiffskatastrophe aller Zeiten über 9.000 Menschen, weit überwiegend
Zivilisten. Philip Kerr lässt infame Machenschaften einfließen, die zumindest mit schuld
daran tragen.
Gauleiter Erich Koch ließ danach auf dem Schiff das legendäre Bernsteinzimmer
abtransportieren und sein Adlatus Hennig sorgte für die brutale Erpressung Gunthers,
damit dessen große Liebe Irmela ihre Stellung als Marinefunkerin ausnutzte, um den
illegalen offenen Funkspruch über den Transport des russischen Schatzes in den Äther zu
schicken. Die Spekulation, dass die Sowjets dann von einer Versenkung absehen würden,
wäre sogar beinahe aufgegangen.
An der Riviera im Jahre 1956 war dieser notorische Erpresser erneut nicht zum Vergnügen
unterwegs, wie Gunther bald schon konkret erfährt. Als ihm mit Anne French der Zugang zu
Somerset Maugham gelingt, gesteht dieser, soeben mit einem Foto erpresst zu werden. Es
offenbart das orgiastische homosexuelle Treiben des öffentlichkeitsscheuen weltberühmten
Schriftstellers. Hennig ist der Erpresser und seine Forderung happig.
Gunther soll die Lösegeldübergabe abwickeln, wird jedoch von britischen Agenten
gefangengenommen. Und es eröffnen sich noch ganz andere Dimensionen des Geschehens, denn
nicht nur Gunthers falscher Pass stammt von Stasi-Chef Mielke, auch die anrüchige
Erpressung des schwulen Schriftstellers ist nur ein fieser Schachzug der Operation
Othello. Die aber hat mit Spionage zu tun, die bis in die echte
Agentenvergangenheit Somerset Maughams im Ersten Weltkrieg zurückreicht.
Kerr hat hier ein ebenso raffiniertes wie spannendes Geflecht der Absurditäten des
wechselseitigen Spionagegeschäfts aufgezogen, das mit mutmaßlichen und belegten Fällen
historischer Persönlichkeiten gespickt ist. Das reicht bis zum späteren MI 5-Direktor
Sir Roger Hollis, der hier gewissermaßen vom Spionageverdacht reingewaschen werden sollte
die Verdachtsmomente gegen ihn konnten tatsächlich nie ganz ausgeräumt werden.
Das ist wie immer mit zupackender Prosa geschrieben und sowohl die komplexe Handlung wie
auch die hervorragende Dramaturgie stellen Philip Kerr mit diesem Agententhriller erneut
auf eine Stufe mit seinen Landleuten John le Carré und Frederick Forsyth. Und der letzte
Satz der deutschen Ausgabe lautet: Bernie Gunther kehrt 2019 zurück. - der
Autor hatte vor seinem plötzlichen Tod noch zwei weitere Romane um den Agenten
fertigstellen können.
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