CHARLIE ENGLISH: „DIE BÜCHERSCHMUGGLER VON TIMBUKTU“


Nach den Städten Kidal und Gao besetzten dschihadistische Tuareg im Frühjahr 2012 auch das legendäre Timbuktu und wollten den gesamten Norden Malis zu ihrem eigenen islamistischen Staat ausrufen. Doch schon Tage später wurden sie von noch weitaus fanatischeren Truppen vertrieben, Salafisten, die umgehend eine radikale Form der Scharia durchzusetzen versuchten.
Als sie dann auch noch anfingen, weltbekannte Mausoleen und andere Bauwerke, aber auch wertvolle Handschriften zu zerstören, begann im Januar 2013 die Rückeroberung durch französische und malische Truppen in der Operation „Serval“. Mit den Horrormeldungen über die Auswüchse des Scharia-Terrors der Besatzer waren auch jene verbunden, die von Verbrennungen unersetzlicher Handschriften sprachen. Und deren heldenhafter Rettung durch mutige Bibliothekare.
Für den britischen Spitzenjournalisten Charlie English, der bereits in jungen Jahren selbst in der Wüstenstadt weilte, war das Auslöser für eine große Reportage. Die er jedoch mit der Geschichte der einst blühenden Karawanenmetropole und der ihrer ersten europäischen Entdecker verband. Entstanden ist daraus unter dem Titel „Die Bücherschmuggler von Timbuktu“ ein Meisterwerk sowohl der Reiseberichterstattung wie auch des investigativen Journalismus.
Sagenumwoben galt Timbuktu als das El Dorado Afrikas, in dem angeblich die Dächer mit Gold gedeckt waren. Was der britische Major Alexander Gordon Laing, der die Stadt 1826 als erster Europäer erreichte, stattdessen vorfand, war ein Schatz an niedergeschriebenem Wissen in Form von unzähligen alten Manuskripten zu Theologie, Geschichte und Wissenschaften. English beschreibt das wie auch den historischen Weg der Stadt bis zur eher enttäuschend grauen Gegenwart höchst unterhaltsam.
Die unzähligen papiernen Schätze lagen bis zur Eroberung durch die Scharia-Fanatiker in Bibliotheken aber auch in vielen Privathäusern. Es waren Männer wie der Bibliothekar Abdel Kader Haidara, die die Mansukripte nicht nur zusammentrugen, sondern sie quasi unter den Augen der Besatzer nach und nach aus der Stadt schmuggelten, um sie in die ferne malische Hauptstadt Bamako in Sicherheit zu bringen.
Es ging um geschätzte 300.000 Schriftstücke und deren Rettung liest sich spannend, zumal nachweislich über 4.200 Manuskripte von den Dschihadisten verbrannt wurden, als sie sich aus Timbuktu zurückziehen mussten. Aber – und hier setzte die Skepsis des investigativen Journalisten ein – die Schilderungen der tapferen Retter gerieten immer bunter und einer behauptet gar, man habe eine regelrechte kleine Schmugglerarmee für die Route bis Bamako organisiert.
Der Autor stellt profunde Mutmaßungen über den wahren Umfang der Rettungsaktion an und sieht auch eine konkrete Motivation für die Übertreibungen: die immense Spendenbereitschaft der Vereinten Nationen, wenn es um hochrangige Güter geht wie die Timbuktus, einer Stätte des UNESCO-Welterbes. So wurde dieser glorreiche Kampf Bücher gegen Waffen ein modernes Märchen, wenngleich eines, das auf einem wahren Kern beruhte.
Was denn ja auch so ganz zum Mythos Timbuktu passt. Fazit: meisterhaft als Reportage wie als Zeitreise.

# Charlie English: Die Bücherschmuggler von Timbuktu (aus dem Englischen von Heike Schlatterer und Henning Dedekind); 429 Seiten, div. Abb.; Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg; € 24

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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