IBRAM X. KENDI:
GEBRANDMARKT
Auch nach acht Jahren des schwarzen Präsidenten Barack Obama ist die Chance für einen
schwarzen US-Amerikaner 21 mal höher als für einen Weißen, von der amerikanischen
Polizei erschossen zu werden. Der Rassismus mag sich etwas geändert haben, aber er ist da
und er ist noch immer allgegenwärtig.
Dies untermauert die grandiose Studie des Historikers Ibram X. Kendi unter dem Titel
Gebrandmarkt. Die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika. Der junge
Professor für Geschichte und Internationale Beziehungen an der American University in
Washington, DC, sowie Gründungsdirektor des Zentrums für Antirassismusforschung und
-politik überzeugte mit seinem Werk derartig, dass er dafür den National Book Award für
das Sachbuch des Jahres 2016 bekam.
Schonungslos und bei aller Wissenschaftlichkeit mit spürbarer Wut legt Kendi offen, dass
der Rassismus nicht nur aus den Quellen von Ignoranz und Hass genährt wird. Seit den
Anfängen der amerikanischen Geschichte diente er dazu, die Diskriminierung der Schwarzen
zu begründen und zu rechtfertigen. Gerade an der Quelle der erklärten allgemeinen
Menschenrechte und politisch wie philosophisch den Prinzipien von Freiheit und Gleichheit
gewidmet, nützten dieses christlichen Kämpfer der Aufklärung den Rassismus insbesondere
zu ihrem ökonomischen Vorteil.
Der Forscher stellt dazu eine überzeugende Systematisierung des rassistischen Denkens
auf. Das erstreckt sich von jenen Propagandisten, die es für möglich erachten, dass
Schwarze durch Anpassung und Erziehung ähnlich wertvolle Mitglieder der Gesellschaft
werden können bis hin zur weitaus größeren und gewichtigeren Gruppe der
Segregationisten. Für sie ist jeder Nicht-Weiße gottgegeben minderwertig, was sich nach
ihrer Auffassung auch mit schlechten Eigenschaften und minderer Intelligenz im genetischen
Code niederschlägt.
Über fünf Jahrhunderte verfolgt Kendi den strukturellen und institutionalisierten
Rassismus bis ins gegenwärtige Amerika auch entlang zentraler Persönlichkeiten. Auf
demselben Boden des US-Senats, der die Bill of Rights, also die allgemeinen
und unveräußerlichen Menschenrechte heiligt, verkündete 1860 Jefferson Davis
wenig später Präsident der konföderierten Staaten und Verteidiger der Sklaverei
dass die Minderwertigkeit der schwarzen Bevölkerung offenkundig sei und vom Augenblick
ihrer Zeugung an außer Frage stehe.
Der Autor stellt in seinen ebenso brillanten wie verstörenden Ausführungen jedoch klar,
dass die Südstaaten-Vertreter mit dieser Grundhaltung durchaus nicht allein dastanden.
Und auch viele der sogenannten Abolitionisten, der Kämpfer für die Abschaffung
der Sklaverei, waren nicht notwendigerweise auch Anti-Rassisten. So folgte der
weitgehenden Befreiung der Schwarzen durch den Bürgerkrieg (1861-1865) später die neue
Welle von Diskriminierungen, begleitet von tausenden von Lynchmorden.
Den Verbesserungen durch die Erfolge der Bürgerrechtsbewegungen in den 60er Jahren
(Präsident Lyndon B. Johnson) folgte die anhaltende Diskriminierung der armen Schwarzen.
Nicht zu vergessen jene ständigen Fälle von Polizistenmorden an Schwarzen bis in unsere
Tage. Wobei Rassismusforscher Kendi ohnehin ein Vorurteil nicht mehr gelten lässt: dass
es im Norden der USA weniger Rassismus gebe, er hat allenfalls nicht ganz so krasse
vordergründige Ausformungen.
Entgegen dem hehren Selbstverständnis der USA als Hort von Freiheit, Demokratie und
Fortschritt liefert dieses sachlich unerbittliche Buch das Bild einer Nation, in der die
Herabwürdigung erheblicher Bevölkerungsteile als minderwertig bis heute nicht
überwunden sondern täglich anzutreffen ist. Fazit: ein Meisterwerk der
Gesellschaftskritik, exzellent geschrieben und von ungeheurer Wichtigkeit.
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