MARIE REINERS: FRAUEN, DIE
BÄRBEL HEIßEN
Marie Reiners ist eine Meisterin im Schreiben ebenso skurriler wie spannender
Krimi-Drehbücher. Auf ihr Konto geht unter anderem die ZDF-Erfolgsserie Mord mit
Aussicht. Nun legt sie ihren ersten Roman vor und eines sei gleich vorweggesagt:
fürs Fernsehen dürfte der wahrscheinlich um einiges zu heftig geraten sein.
Frauen, die Bärbel heißen lautet der harmlose Titel. Diese Bärbel Böttcher
aber, 54 Jahre alt, ledig und arbeitssuchende Tierpräparatorin, ist schon etwas
Besonderes und sei deshalb vorab vorgestellt. Genauer gesagt, tut sie das als
knochentrockene Ich-Erzählerin mit spürbarem Asperger-Syndrom erst einmal selbst.
Die spröde Eigenbrötlerin war das wenig geliebte einzige Kind ziemlich alter Eltern. Die
sich umbrachten, als Bärbel erst 14 war. Der drohenden Heimverwahrung entzog sie sich
durch zielgerichtetes Handeln. Sie ließ das Auto der Eltern samt diesen im Sumpf
verschwinden und meldete deren willentliches Ableben erst mit Erreichen der
Volljährigkeit. Im elterlichen Haus lebt sie nun mit Mischlingshündin Frieda und liebt
es ganz besonders, sich stundenlang den Shopping-Kanal im Fernsehen anzuschauen.
Als sie an diesem Morgen allerdings ihren üblichen Gang in den Wald mit Frieda macht,
stößt sie auf eine Leiche mit einem Stöckchen im Auge. Natürlich unterzieht sie sich
schweren Herzens der Pflicht, die Polizei zu rufen. Der Zusammenprall von Asperger-Bärbel
und Kommissar Lichtblau kostet Nerven und zwei Stunden Lebenszeit. Doch als sie endlich
wieder daheim ist und eben zur häuslichen Idylle übergehen will, geschieht etwas
Unwahrscheinliches: es klingelt an der Haustür.
Dort steht mit großen Rehaugen die junge zarte Witwe von Ansgar Wonnemuth um
diesen umschwärmten Fernsehstar handelt es sich nämlich bei dem im Wald Hingemeuchelten.
Und nun überstürzen sich die Ereignisse, denn dieses Bambi haut die robuste Bärbel mit
einem Elektroschocker von den Beinen. Es dauert nicht lange, bis sich Bärbel ein Messer
aus dem Rücken ziehen muss, während im Präparationskeller das bewusstlose angeschlitzte
Luxusweibchen liegt.
Kann aus so etwas etwa eine Freundschaft erwachsen?! Doch das ist ja auch erst der Anfang
einer rasanten Achterbahnfahrt voller Überraschungen, zu denen bald auch ein
herumschnüffelnder Lokalreporter und noch ganz andere Figuren gehören, als hätten sie
sich zu einem Komplott verabredet. Und mittendrin Bärbel, die sich mit viel spontaner
Fantasie behaupten muss.
Eins gibt das andere, es fließt noch eine Menge Blut und Marie Reiners spielt mit
Entsetzen Scherz und das so unerschütterlich tiefschwarz, dass britischer Humor dagegen
geradezu blass erscheint. Und man errät es kaum: da werden Feinde zu Verbündeten und
frei nach Schiller Weiber zu Hyänen. Was diese durchgeknallte Soziopathin
alles so verzapft, setzt eine gewisse Art der Aufnahmebereitschaft beim Leser voraus,
beschert dafür aber auch ein hinreißendes und ebenso schräges wie originelles
Lesevergnügen.
Fazit: an diesem Roman werden selbst anspruchsvolle und hartgesottene Krimi-Freunde ihre
Freude haben. Und es bleibt nur noch zu sagen, bitte unbedingt mehr davon!
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