MICHAELA KÜPPER: „KALTENBRUCH“


Frühsommer 1954, der junge Kriminalkommissar Peter Hoffmann hat gerade eher widerwillig die etwas trampelige Lisbeth Pfau als Assistentin angeworben, da verscherzt er sich den weiteren Aufstieg mit einer vorlauten Bemerkung über die braune Vergangenheit seines Vorgesetzten. So heißt es dann unversehens, ab in die Provinz statt in Düsseldorf Karriere zu machen.
Dort im Eifeldorf Kaltenbruch ist ein Mord geschehen und den soll er unter Mithilfe von Lisbeth aufklären. Damit beginnt Michaela Küppers Roman „Kaltenbruch“. Doch es sei gleich vorweg gesagt: trotz des Verbrechens ist dies kein Krimi und der Kripobeamte steht auch nicht im Mittelpunkt des Geschehens. Die Autorin führt vielmehr in die typischen Verhältnisse der 50er Jahre, wo sich die Alteingesessenen mit den Vertriebenen die Heimat teilen sollen.
Konflikte sind schon deshalb vorgezeichnet, weil die Traumata des Krieges bei den meisten in beiden Bevölkerungsgruppen lediglich unter einer verletzlich dünnen Firnisschicht schlummern. Allen voran sind es da Marlene Berndt und Dana Starck. Marlene erlebte mit ihrer Mutter die Nächte der Tausendbomberangriffe auf Köln und 1944 passiert es dann: die Mutter kommt bei einem Angriff im Bunker ums Leben.
Bei der Großmutter hielt es das obendrein auch noch unehelich geborene Mädchen nicht aus und so begann ein bedrückender Weg durch verschiedene Heime. Bis es später vom wohlhabenden Landwirt Leitner und seiner Frau auf dem Bauernhof im Eifeldorf Kaltenbruch Aufnahme fand. Marlene wächst mit den Leitner-Söhnen Martin und Heinrich auf und entwickelt sich zu einer großen Hilfe auf dem Hof.
Dana dagegen verschlägt es als Vertriebene in das Dorf. Sie hat auf der Flucht aus Breslau schlimmste Gewaltexzesse durchlitten, die sie noch immer verfolgen und zutiefst geprägt haben. Ihre dünkelhafte Mutter war durch ihr engstirniges Verhalten nicht ganz unschuldig daran, dass Dana so viel durchmachen musste. Und auch jetzt sucht die einst wohlhabende Geschäftsfrau sich einen eleganten Weg als Lebensgefährtin Leitners, als dessen Frau verstirbt.
Auch andere Protagonisten spielen gewichtige und sehr zeittypische Rollen, so unter anderem der jungen Wolfgang, der nicht nur Flüchtlingskind sondern auch noch mit einer Hasenscharte geschlagen ist. Zu den diffusen, teils aber auch offenen Reibereien zwischen den Gruppen, die nur schwer zusammenwachsen, kommt schließlich noch die besondere Spannung zwischen den beiden zentralen Figuren.
Dana fühlt sich nach ihrer verständlichen Abkehr von Männern über Gebühr – wenn auch vorerst noch heimlich – stark zu Marlene hingezogen. Um so eifersüchtiger reagiert sie auf deren vermeintliche Turtelei mit dem lebenslustigen Leitner-Sohn Heinrich. Wobei sie nicht ahnt, dass Marlene längst mit Martin heimlich ein Paar geworden ist.
Da geschieht eine grausige Bluttat: man findet Heinrich blutüberströmt über Marlenes Erdbeerstand an der Straßen liegend, erschlagen mit einer Axt. Der Säufer und Raufbold Gruber aus der örtlichen Besenfabrik wird von einer Zeugin mit blutbefleckten Kleidern am Tatort gesehen, jedoch bald darauf selbst ermordet. Für Dana aber eröffnet sich in all dem Wirrwarr eine noch größere Katastrophe, denn Marlene und Martin geben ihre Verlobung bekannt.
Womit die dramatischen Verwicklungen noch längst nicht am Ende sind, hier aber auch nicht weiter verraten werden sollen. Geschrieben ist das Alles ebenso gradlinig wie souverän und man spürt, wie authentisch dieser packende, bewegende Roman geschrieben ist. Michaela Küpper urteilt nicht, sie bringt das Geschehen – das im Übrigen historischen Ereignissen angelehnt ist – nahe:
Verachtung und Hass auf die Flüchtlinge, Habenichtse, denen man gern Schlechtes zutraut, während man sich zugleich nicht scheute, sie auszunutzen.
Zu den großen Qualitäten „Kaltenbruchs“ kommt aber auch der wichtige Erinnerungswert, denn selbst diejenigen, die jetzt in Rente gehen, können sich häufig an vieles nicht mehr recht erinnern – die „Fremden“, die Kargheit, Enge, Not und Hoffnungslosigkeit für so viele Entwurzelte.

# Michaela Küpper: Kaltenbruch; 362 Seiten; Droemer Verlag, München; € 19,99

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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