ADRIAN OWEN: „ZWISCHENWELTEN“


Es ist eine beängstigende Vorstellung, bei Bewusstsein zu sein, jedoch gefangen in einer Grauzone des Koma, das jegliche Reaktionen unterbindet. Sei es eine Hirnhautentzündung, ein Schlaganfall oder ein Schädel-Hirn-Trauma als Auslöser, meinten die Mediziner lange, dass diese Patienten unfähig zum Denken und Fühlen in einem Nichts schweben.
Adrian Owen, britischer Neuropsychologe und mittlerweile Leiter des renommierten Brain und Mind Instituts der Western Ontario University in Kanada, machte jedoch bahnbrechende Forschungsarbeiten mit sensationellen Erkenntnissen auf diesem Gebiet. Den Weg dahin er nun in dem Sachbuch „Zwischenwelten – Ein Neurowissenschaftler erforscht die Grauzone zwischen Leben und Tod.“
Ebenso spannend wie einfühlsam schildert Owen seine teils ganz persönlichen weil privaten ersten Erfahrungen mit seiner Mutter, die an einem Gehirnturmor starb, wie auch das Wachkoma, in das seine ehemalige Freundin durch eine Blutung im Gehirn fiel, verursacht durch ein Aneurysma (Riss einer Ader). Befindet sich ein Patient in einem solchen sogenannten vegetativen, also reaktionslosen Zustand, liegt die Vermutung nahe, dass da nichts mehr ist: „Sie war nicht mehr da, aber sie war auch nicht weg.“
Alsbald fesselt Owen mit dem exemplarischen Fall der jungen Amy, die durch den Sturz auf eine Bordsteinkante eine schwere Hirnverletzung erlitten hatte und offenbar „vegetativ“ war. Trotz der negativen Prognosen waren ihre Eltern aber noch nicht bereit zum „Abschalten“. Stattdessen erlaubten sie dem jungen Neurowissenschaftler, Amy mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) zu durchleuchten.
Nach fünf Tagen konnte er den Eltern den überwältigenden Befund vermelden: die Tochter sei „im vollen Besitz ihres Bewusstseins.“ Sie habe jedes Gespräch mitbekommen und jeden Besucher erkannt, so reglos sie äußerlich auch daliege. Ihr intakter Geist drifte gleichsam in den Tiefen eines defekten Körpers und Gehirns. Owen bezeichnet das Wachkoma deshalb auch als einen Bezirk im Schattenreich der Zwischenwelten.
Doch die Experimente des Neurowissenschaftlers gingen noch viel weiter und diese faszinierende Entwicklungsgeschichte der Gerätemedizin und all der neuen Forschungsmöglichkeiten umfasst eine ganze Anzahl verschiedener Fälle. Mittels fMRT aber auch der scanner-artigen PET (Positronen-Emissions-Tomographie) gelangen nicht nur digitale Bilder des Gehirns in Aktion. Owen wollte weitergehen, Kontakt herstellen zum Bewusstsein des Komapatienten bis hin zu willkürlichen Reaktionen.
Dazu begann er eine Kommunikation mit sogenannten Locked-in-Patienten, die scheinbar ohne jedes Bewusstsein sind, weil sie auf keinerlei Reize zu reagieren scheinen. Zunächst stieß er auf Patienten, bei denen sich Gehirnaktivitäten zeigten, wenn ihnen zum Beispiel ein Film vorgeführt wurde. Die Hirnströme ähnelten tatsächlich denen von Gesunden. Doch Owen wollte mehr und ersamm eine wirksame Methode, um gewollte Entscheidungen des komatösen Probanden zu erwirken.
Um die Möglichkeiten von Ja und Nein herzustellen, gab er den Patienten zwei verschiedene Vorgaben vor, deren eventuelles Reaktionsbild bei Gesunden im Scanner in verschiedenen Hirnbereichen Wirkung zeigt. Die eine war das Umhergehen im eigenen Haus, die andere die Vorstellung, Tennis zu spielen. Und er bekam tatsächlich „Antworten“ - diese Patienten waren wirklich bei Bewusstsein. So konnte Patient Scott nach zwölf Jahren im scheinbar vegetativen Zustand die Frage, ob er Schmerzen verspüre, auf diesem Wege mit einem deutlichen Nein beantworten.
Mit seinem Team gestaltete Owen auch ein spektakuläres Anschluss-Experiment. Dieser Serbe, der vor fünf Jahren eine schwere Hirnverletzung erlitten hatte, signalisierte solch korrekte Angaben wie die, dass er Alexander und nicht Thomas heiße und dass er keine Schwestern sondern nur Brüder habe. Das Experiment wurde allerdings nicht fortgeführt, als seine Antwort auf die Frage nach dem Wunsch, sterben zu wollen, seltsam unschlüssig ausfiel.
Die meisten der nicht wirklich vegetativen Patienten äußerten sich eher zufrieden mit ihrer Lebensqualität und hatten kein Verlangen nach einem „Abschalten“. Und es war eine der bewegendsten Erkenntnisse der bisherigen Forschungsarbeiten, dass immerhin mutmaßlich bis zu 20 Prozent aller Koma-Patienten eben nicht vegetativ sondern bei Bewusstsein waren. Auch wollen diese Patienten als Menschen wahrgenommen und behandelt werden.
Wozu Adrian Owen entschieden feststellt: „Wir sind unser Bewusstsein.“ Das Gehirn sei der pulsierende Wesenskern des Menschen, für irgendwelche sonstigen körperlosen Dinge wie eine Seele oder ähnliche religiöse Gebilde hat der nüchterne Wissenschaftler keinen Sinn. Gleichwohl wirft sein Buch eine Vielzahl von Fragen auf, ethische, philosophische und auch ganz praktische.
Fazit: eine mitreißende und lange nachhallende wissenschaftliche Abhandlung in geradezu romanhafter Ausführung, die einerseits einschlägt wie ein Stein im Wasser und andererseits nur ein Zwischenbericht einer noch längst nicht abgeschlossenen hochspannenden Forschung sein kann.

# Adrian Owen: Zwischenwelten – Ein Neurowissenschaftler erforscht die Grauzone zwischen Leben und Tod (aus dem Englischen von Harald Stadler); 318 Seiten; Droemer Verlag, München; € 19,99

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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